Reaktionen II

… auf die ANTI – KERNBERG – KAMPAGNE 2001

Weitere schriftliche Reaktionen (per Email oder Brief), die ich auf meine Anschrift hin bekommen hatte, sind hier wiedergegeben. Auch diese habe ich in 5 Kategorien eingeteilt: Ablehnung, tendenzielle Ablehnung, Neutralität, tendenzielle Zustimmung und Zustimmung. Diese Zuordnung ist natürlich recht grob. Wenn in einer sehr knappen Antwort in einem Halbsatz eine gewisse Zustimmung signalisiert wurde, dann auf Mitteilung der genauen Quelle keine Reaktion mehr erfolgt ist, dann habe ich das bereits als „tendenzielle Zustimmung“ gefasst. Manche der von mir als „neutral“ gewerteten Antworten hatten dagegen einen nicht zu überhörenden bissigen Unterton, der sich jedoch vordergründig allein auf mein Ansinnen der Anfrage richtete.

 

ABLEHNUNG

(keine Beispiele)

 

TENDENZIELLE ABLEHNUNG

L., PD Dr. med. T.

  1. Februar 2001

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

Sie hatten mir im Rahmen eines Treffens in Wiesbaden im letzten Jahr einen Text zur Verfü­gung gestellt mit dem Titel “Weisheit oder Wahnsinn?”.

Mir ist natürlich klar, daß das psychoanalytische Denken sehr befremdlich wirken kann. Ich kann mir vorstellen, daß es aber durchaus Argumente gibt, die die Position der Psychoanaly­se, so umstritten sie sein mag, auch nachvollziehbar werden lassen, inwieweit die Ansätze dann auch in einer Behandlungssituation eine für den Patienten sinnvolle Veränderung im Rahmen einer tragfähigen Beziehung bedingen können, ist sicher abhängig von der Person des Therapeuten. In der Regel ist die Psychoanalyse natürlich auch komplexer und die Be­handlungen werden von den Patienten ja nicht nur abgelehnt, auch die Abhängigkeit von Be­handlungen ist sicher ein relatives Problem, auch wenn es in Einzelfällen immer wieder zu großen Schwierigkeiten kommen kann, da stimme ich Ihnen zu.

Vielleicht ergibt sich ja einmal die Gelegenheit in einem persönlichen Gespräch ausführlicher darüber sprechen zu können, eventuell im Rahmen der Wiesbadener Akademie.

Mit freundlichen Grüßen – PD Dr. med. T. L.

 

NEUTRAL

Beispielhafte Formulierungen:
“Bitte verschonen Sie mich mit solchen ‚Anfragen’“
„Hallo, ich interessiere mich nicht für Ihre Post, da ich Sie auch nicht kenne und verbiete Ihnen weitere Anschreiben.“

H., T.

Wie kommen Sie auf meine e-mail-Adresse?

Bitte verschonen Sie mich mit solchen “Anfragen” – T. H.

 

Antwort K.S.: Ihre eMail-Adresse findet sich im Internet.

 

Rückfrage H.: Und? Rechtfertige das, dass Sie mich mit Ihrem Erguß beläßtigen?

Antwort: Nein – natürlich nicht.

 

[Kommentar: Der erste Teil dieser Rückfrage ließ sich leicht beantworten: e-mail-Adressen findet man gewöhnlich im Internet, wenn die entsprechende Person sie dort veröffentlichen lässt – unter einschlägigen Rubriken wie: Psychologen, Psychotherapeuten u.ä. Dass der Autor sich wünscht, von derartigen Anfragen verschont zu werden, lässt mich darauf schließen, dass ihm eine schlüssige Antwort auf meine Kritik schwer fallen würde.]

 

H., A.

Lieber Herr Schlagmann,

sind Sie der Meinung, dass dies der richtige Weg ist? Natuerlich ist Ihr Anliegen sehr ehrenwert, doch stellen Sie sich vor was passiert, wenn ploetzlich tausende von Kollegen ihre jeweilige Kritik an XY allen anderen UNGEFRAGT kundtun wuerden.

herzliche Gruesse mit Bitte um Entfernung aus dem Verteiler (A. H.)

[Kommentar: Immerhin – das Anliegen sei ehrenwert. Aber der Antwortende möchte mit diesem ehrenwerten Anliegen nichts zu tun haben. Bei der Widersprüchlichkeit von verbaler Mitteilung und Handlungsmitteilung ist es geraten, so Fachleute, sich auf die – validere – Handlungsmitteilung zu verlassen. Also höre ich auf die Botschaft, die sich damit verbindet, daß er mit diesem Anliegen nichts zu tun haben möchte.]

 

W., E.

Hallo,

ich interessiere mich nicht für Ihre Post, da ich Sie auch nicht kenne und verbiete Ihnen weitere Anschreiben.

 

S., K.

Sehr geehrter Herr Schlagmann!

Vielleicht können Sie mir mitteilen, woher Sie meine e-mail Adresse haben.

Mit freundlichen Grüßen  –  K. S.

 

Antwort: Gerne: Aus dem Internet!

MfG – Klaus Schlagmann

 

Sehr geehrter Herr Schlagmann!

Bitte, zu meiner Information, würde mich interessieren, unter welcher homepage Sie meine Adresse gefunden haben.

Ich war etwas verwundert, von Ihnen mail zu bekommen, ohne Sie bewußt zu kennen und ohne, daß Sie sich vorgestellt haben.

Ich würde Sie außerdem bitten, mir die Quelle Ihres Artikels anzugeben. Da meine zeitliche Auslastung sehr hoch ist, möchte ich doch abwägen können, an welche Öffentlichkeit sich der Artikel wendet.

Mit freundlichen Grüßen  –  K. S.

 

Sehr geehrter Herr S.,

es wäre mir zu mühsam zu rekonstruieren, wo ich Ihre Mail-Adresse gefunden hatte. Ich habe v.a. gesucht unter “Psychologie.de” sowie  unter psychologischen Instituten.

 

H., H.

Lieber Kollege Schlagmann,

schwierig, über Texte genauer die urteilen, die nicht vollständig sind – so kann ich keine wirklich fundierte Auseinandersetzung führen.

Mich interessiert noch: Wie kommt die Auswahl der angeschriebenen Kollegen zustande?

Mit freundlichem Gruss  –  H. H.

Antwort: Durch Zufall. Sie sind einschlägigen Veröffentlichungen im Internet entnommen.

Mit freundlichem Gruß  –  Klaus Schlagmann

(Keine weitere Reaktion.)

 

 J., Prof. Dr. P.

Sehr geehrter Herr Schlagmann!

Schön von Ihnen zu hören.

Bezüglich Ihres Anliegens. Ich bin kein Kliniker, insofern habe ich nur einige wenige Kurzkommentare in Ihren Text in Klammern eingefügt. Ich halte, wie Sie sehen werden, manche Ihrer Aussagen für zu einseitig und von zu geringer Bereitschaft gekennzeichnet, die Argumentation der Gegenseite adequat zu berücksichtigen. Andererseits denke ich schon, daß die von Ihnen (mit)vorangetriebene Diskussion wichtig ist, um eine Reihe von Ihnen benannter Kritikpunkte zu diskutieren und ihren Stellenwert anzuerkennen. Vielleicht ist da eine gewisse Polemik auch ganz angebracht, eine Fähigkeit, die mir eher abgeht.

Mit freundlichen Grüßen  –  Prof. Dr. P.

 

S.

Nur um Ihre Nachricht nicht unbeantwortet zu lassen: da ist viel zu zu sagen, Zustimmendes und Ablehnendes. Man müßte aus der Alternative raus, denn m. E. stimmt beides, leider. Hab leider keine Zeit, kurz vor Urlaub.

Mit Gruß  –  S. –  Lehranalytiker und Traumatherapeut (EMDR-Therapeut kurz vor Erteilung der Therapeutenlegitimation)

 

L., C.

Lieber Kollege,

haben Sie vielen Dank für Ihre engagierte Post. Auch wenn mir ebenfalls die Position von Linehan angemessener vorkommt als so manches tiefenpsychologische Gerüst, so kommentiere ich aber grundsätzlich nur, was ich im Original gelesen habe.  Ich möchte  zu den von Ihnen ohne Quelle zitierten Textausschnitten keinen Kommentar abgeben.  Im übrigen bin ich Expertin genug, um mich nicht von “bestimmten Namen” beeindrucken zu lassen.

Ich fände es übrigens ganz gut, wenn sie mir mitteilen würden, wieso ich auf Ihrer Adressliste gelandet bin. Herzliche Grüße – C. L.

Antwort (K.S.): Sie haben sie im Internet veröffentlicht.

(Keine weitere Reaktion.)

 

K., U.

Lieber kollege

ich teile die Ansicht, daß sehr viel Unfug geschrieben wird. ich weiß allerdings nicht, ob der Aufwand lohnt, allem Unfug entgegenzutreten. deshalb bitte ich zunächst um die Angabe, um welche Zeitschrift es sich handelt.

mit freundlichen Grüßen, U.K.

(Nach Mitteilung der Quelle erfolgte keine weitere Reaktion.)

 

F., I.

ich empfange den Psychologie-newsletter. Ihren Beitrag fand ich sehr ansprechend. Das damit verbundene Anliegen und Ihr Engagement finde ich sehr unterstützenswert. Ich bin deshalb an Ihrem Artikel interessiert, bitte schicken Sie ihn mir zu. Außerdem möchte ich auch gern den “Originaltext”, also den Text, auf den Sie sich beziehen, lesen, da ich mir eine eigene Meinung bilden möchte. Könnten Sie ihn mir schicken bzw. die genaue Quelle angeben?

Mit freundlichen Grüßen – I. F.

(Keine weitere Reaktion.)

 

K., J.-G.

Sehr geehrter Herr Kollege Schlagmann,

Hiermit bitte ich Sie höflich um Ihren in der mailing-Liste angekündigten Text über die Identifizierung von Patienten mit ihren Misshandlern.

Anm.: Wäre nicht doch ein Verweis auf den vollständigen von Ihnen kritisierten Artikel sinnvoll?

J.-G. K.

 

D., W.

Danke für Ihre Nachricht, Kollege Schlagmann. Ich werde mir das mal anschauen. Grüße vom WebRing.PP – W. D.

(Keine weitere Reaktion.)

 

K., D. v.

Vielen Dank für Ihre Anfrage/Nachricht. Ich werde Ihnen baldmöglichst antworten.

Mit freundlichen Grüßen. D. v. K., Diplom-Psychloge

(Keine weitere Reaktion.)

 

S., O.

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

danke für Ihre Stellungnahme, die ich gerade bei meiner Rückkehr ins Büro nach der Sommerpause erhalte.

Ich habe Ihre Stellungnahme zum Lesen ausgedruckt und auch an Kolleginnen und Kollegen weitergegeben. Mit freundlichem Gruß, O. S., Dipl.-Psych. Psychologischer Psychotherapeut EMDR-Trainer

(Keine weitere Reaktion.)

 

S., C.

Hallo!

Zwar schreibe ich grad einen Fallbericht für meine Weiterbildung, danach gehts in Urlaub, danach kommt dann die Fallvorstellung und danach muss ich alles nacharbeiten, was ich jetzt liegen lasse, so dass ich nicht weiss, ob ich Ihren Text entsprechend durchlesen und kommentieren kann, aber er würde mich interessieren, vielleicht kann ich ihn auch weiterreichen. Von Ihrem Mail her bin ich etwas skeptisch, denn faktisch lässt sich ja (zumindest für meine Augen) schon beobachten, dass z.B. MissbrauchspatientInnen einfach auch an dieser “ganz besonderen Beziehung” in dem Sinne hängen, dass sie dem Vater näher stehen als der Mutter. Die Problematik einer solchen Aussage bzw. möglicher Schlussfolgerungen ist mir natürlich klar.

Mit freundlichen Grüßen – C. S.

  

F., Dr. H.

Sehr geehrter Herr Kollege Schlagmann,

da ich heute aus dem Urlaub zurueckkomme, kann ich Ihre Mail erst jetzt beantworten. Leider ist fuer mich nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien Sie die Adressaten fuer Ihre Information ausgewaehlt haben. Ich selbst bin beispielsweise empirisch forschender Psychologe und Verhaltenstherapeut. Da ich von meinen tiefenpsychologisch/psychoana­ly­tisch orientierten KollegInnen weiss, dass die Diskurse um die von Ihnen angeschnittenen Fragen der psychoanalytischen Theoriebildung auf den entsprechenden Tagungen, Konferenzen und Colloquien wie auch in der einschlaegigen Literatur auf einem oft sehr hohen Niveau gefuehrt werden, halte ich es nicht nur fuer entbehrlich, sondern geradezu fuer kontraindiziert, mich selbst in einer Diskussion zu Wort zu melden, in der es weitaus berufener Wortfuehrer geben sollte und ja auch gibt.

Ich werde es also dabei bewenden lassen, Ihre Information an ein oder zwei moeglicherweise interessierte KollegInnen weiterzuleiten, die in Ihrem Verteiler nicht aufgefuehrt sind, und verbleibe mit freundlichen kollegialen Gruessen  –  Dr. H. F.

 

L., Prof. Dr. D.

27.09.00

Lieber Klaus,

lange haben wir nichts mehr von einander gehört. Deinem Schreiben entnehme ich, dass Du mitt­lerweile die Gegend gewechselt hast und wieder in Deiner »alten« Umgebung lebst. ich hoffe und nehme an, dass es Dir dort im »äußersten Westen« gut geht. Auch für mich hat sich einiges beruf­lich (Stellenwechsel) und privat (3 Kinder) ergeben. Ich lehre jetzt Psychologie und Verhaltens­training an der Polizeifachhochschule … und habe andere Schwerpunkte als früher.

Was Dein fachliches Anliegen angeht, muss ich Dich leider enttäuschen. Ich habe mich nie ernst­haft und tiefergehend mit dem psychoanalytischen Modell befasst und sehe mich daher auch nicht als Experte, der darüber Statements abgeben sollte. Außerdem habe ich mit Posttraumatische Be­lastungsstörungen wenig Erfahrungen, obwohl es eine interessante Thematik ist. Vor diesem Hintergrund möchte ich mich nicht an einem psychotherapeutischen Schulenstreit beteiligen.

Otto Kernberg habe ich auf dem 1. Weltkongress für Psychotherapie in Wien 1996 erlebt. Er gilt in psychoanalytischen Kreisen als Vordenker. Von seinem Auftreten her wirkte er auf mich als be­scheidener, älterer Herr ohne Stargehabe. Wusstest Du, dass er als Jude mit seinen Eltern wäh­rend des Naziregimes aus Deutschland emigrieren musste und wohl viele seiner Freunde und Verwandten umgebracht wurden? Seine Thesen erscheinen aus lerntheoretischer Sicht sehr spe­kulativ, aber es erscheint mir nicht angebracht, dass ihm von deutscher Seite aus »menschenver­achtende Einstellungen« unterstellt werden sollten.

Lieber Klaus, Du siehst, ich kann Dir in Deinem Anliegen somit keine Hilfe sein. Ich wünsche Dir für Deinen weiteren Weg alles Gute. Vielleicht treffen wir uns ja einmal auf einer Tagung oder einem Kongress.

Viele Grüße – D. L., Dipl. Psychologe und Psychotherapeut

 

Einige Mitglieder der DGIP (Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie):

K., E.

Sehr geehrter Herr Kollege,

Sie haben sich viel Arbeit gemacht mit Ihrer Stellungnahme, die mir von viel Empathie und Betroffenheit getragen zu sein scheint, die ich als persönliche Betroffenheit respektieren kann.

Wenn ich Ihr Anliegen richtig verstanden habe, wünschen Sie sich sowohl eine Stellungnahme zu Ihrer eigenen Stellungnahme als auch eine Stellungnahme zur Position des (mir) unbekannten Autors.

Auf der fachlichen Seite steht, daß das für mich mit gutem Gefühl nur dann geht, wenn mir der in Frage stehende Ursprungstext ungekürzt zugänglich ist. Befremdlich finde ich in diesem Zusammenhang, daß ich vor einer vermuteten Manipulierbarkeit “beschützt” werden soll, die sie offenbar bei mir und den um Stellungnahme gebetenen Kolleginnen und Kollegen voraussetzen, wenn sie den Namen des von Ihnen kritisierten Autors nicht nennen wollen. So kann ich Ihnen leider nicht mehr als diese subjektive Haltung mitteilen.

Mit kollegialen Grüßen  –  E. K.

 

H., M.

Das geht mir ganz genau so und ich hatte wegen Zeitmangels einerseits und der ungefragten Fürsorge, die mir zu Teil wurde, andererseits nicht geantwortet.

  1. H. – Psychoanalytiker DGIP/DGPT

 

R., L.

Ich kann mich den Statements nur anschließen und würde mich durch den unnötigen Schutz entmündigt fühlen

R.

 

Sehr geehrte Frau Kollegin K.,

Sie schreiben: “Sie haben sich viel Arbeit gemacht mit Ihrer Stellungnahme, die mir von viel Empathie und Betroffenheit getragen zu sein scheint, die ich als persönliche Betroffenheit respektieren kann.”

Aus diesen Worten höre ich heraus, daß Sie meinen Text – in dem ich eine bestimmte therapeutische Perspektive attackiere, die ein Opfer zum Täter macht – zwar als Ausdruck “persönlicher Betroffenheit” respektieren, nicht jedoch prinzipiell die Sichtweise zurückweisen, daß bspw. das Hauptproblem einer von ihrem Vater vergewaltigten 10jährigen darin bestehe, einen sexuell erregenden Triumph über die Mutter zu erleben, oder daß der Suizid einer von ihrem Therapeuten verführten Klientin als Ausdruck der Transformation von einem Opfer zum Täter zu verstehen sei.

Sollte denn mein “mit viel Arbeit” erstelltes Papier mit seinen umfangreichen Zitaten des ungenannten Artikels tatsächlich so wenig aussagekräftig gewesen sein, daß Sie nicht auch ein wenig mehr inhaltlich auf die von mir zurückgewiesene Position hätten eingehen können? Erlauben Sie mir die Vermutung, daß Sie gegenüber der von mir kritisierten Position womöglich – aufgrund Ihrer theoretischen “Glaubensrichtung” – gar nicht so große Vorbehalte haben. Das sei ja nun auch jedem überlassen. Meine Absicht ist es jedoch, gegen eine derartige Position “zu Felde” zu ziehen, bspw. indem ich mich bemühe, sie von einer Ethik-Kommission prüfen zu lassen, oder indem ich mich dafür stark mache, daß ihr Verfasser aus dem “Wissenschaftlichen Beirat” der “Lindauer Psychotherapiewochen” ausgeschlossen wird.

Das von mir ursprüngliche gewählte Vorgehen – den Autor ungenannt zu lassen – ist natürlich problematisch. Aber ich meine, daß mir dieses Vorgehen bisher durchaus etwas gebracht hat. Ich habe bisher zumindest eine Rückmeldung eines prominenten Psychoanalytikers erhalten, die ich bei Nennung des Namens des Autor vermutlich nicht in dieser Klarheit bekommen hätte. Und ich kann sagen, daß ich auf diejenigen Schreiben, in denen ich den Namen des Autors nicht genannt hatte, deutlich mehr Reaktionen erhalten hatte, als auf diejenigen, bei denen ich den Namen erwähnt hatte (41 : 3). Dieses empirische Ergebnis entspricht meiner Erfahrung aus vielen Gesprächen mit KollegInnen, die ich bereits früher auf bestimmte Positionen angesprochen hatte: sobald prominente Namen genannt werden, sinkt die Breitschaft, bestimmte Positionen zu kritisieren.

Trotzdem respektiere ich natürlich Ihr Bedürfnis, den Original-Artikel in Augenschein zu nehmen. Sie finden die von mir kritisierten Passagen in dem Artikel: Persönlichkeitsentwicklung und Trauma. In: Persönlichkeitsstörungen – Theorie und Therapie (PTT), Jg. 3 (1999), Heft 1, S. 5-15. Der Autor ist der amtierende Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, Mitherausgeber der entsprechenden Zeitschrift, Wissenschaftlicher Beirat der Lindauer Psychotherapietage, und sicherlich vieles andere mehr: Otto F. Kernberg.

Nun bin ich gespannt, ob ich noch eine weitere Rückmeldung von Ihnen zu Kernbergs ungeheuerlicher Position erhalte.

MfG – Klaus Schlagmann

(Hierauf erfolgte keinerlei Reaktion mehr.)

 

Saabrücken, den 29. September 2000

An K. H. W.

Hallo,

in den letzten Tagen habe ich drei Antworten aus Ihrem Diskussionskreis auf mein Schreiben “Weisheit oder Wahnsinn” bekommen. Ist es möglich, daß ich mich in Ihren Diskussionskreis “einklinke”? Dann würden meine Antworten jeweils auch an die übrigen DiskussionsteilnehmerInnen weitergeleitet.

MfG – Dipl. Psych. Klaus Schlagmann, Saarbrücken

 

W., K. H.

Hallo zurück,
die Gruppe ist zunächst mal reserviert für Mitglieder eines Gremiums der DGIP. Ich leite Ihre Antwort gerne an die Gruppe weiter. Übrigens habe ich auch den Anhang gepostet.

Mit freundlichen Grüßen – K. H. W.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in den letzten Tagen habe ich drei Antworten aus Ihrem Diskussionskreis auf mein Schreiben “Weisheit oder Wahnsinn” bekommen. Der herausragende Tenor dabei ist das Befremden, daß ich den Autor des darin kritisierten Artikels nicht nenne.

Das von mir ursprüngliche gewählte Vorgehen – den Autor ungenannt zu lassen – ist natürlich problematisch. Aber ich meine, daß mir dieses Vorgehen bisher durchaus etwas gebracht hat. Ich habe bisher zwei Rückmeldungen von prominenten Psychoanalytikern erhalten, die ich bei Nennung des Namens des Autors vermutlich nicht in dieser Klarheit bekommen hätte. Und ich kann auf eine weitere interessante empirische Basis verweisen: in ca. der Hälfte [1] meiner Anschreiben hatte ich den Namen des Autors ungenannt gelassen. In der anderen Hälfte (die ich allerdings ein wenig später an eine andere Gruppe verschickt hatte), hatte ich den Artikel explizit zitiert. Auf diejenigen Schreiben, in denen ich den Namen des Autors nicht genannt hatte, habe ich bislang deutlich mehr Reaktionen erhalten, als auf diejenigen, bei denen ich den Namen erwähnt hatte (45 : 3). Dieses empirische Ergebnis entspricht meiner Erfahrung aus vielen Gesprächen mit KollegInnen, die ich bereits früher auf bestimmte Positionen angesprochen hatte: sobald prominente Namen genannt werden, sinkt die Bereitschaft, auf bestimmte Theorien kritisch zu reagieren.

[zu 1: Bei Abfassung der Mail hatte ich die Zahl meiner Emails nur grob geschätzt. Erst im Nachhinein habe ich genauer nachgezählt und festgestellt: 566 Mails hatte ich verschickt, ohne Kernberg beim Namen zu nennen. In 208 weiteren Mails hatte ich dann Kernberg direkt als Autor des Artikels benannt.]

Natürlich respektiere ich Ihr Bedürfnis, den Original-Artikel in Augenschein zu nehmen. In meinem Schreiben hatte ich ja die Zusage gegeben, daß Sie nach einer Antwort von mir die entsprechende Aufklärung erhalten würden. Sie finden die von mir kritisierten Passagen in dem Artikel: Persönlichkeitsentwicklung und Trauma. Zeitschrift: Persönlichkeitsstörungen – Theorie und Therapie (PTT), Jg. 3 (1999), Heft 1, S. 5-15. Der Autor ist der amtierende Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, Mitherausgeber der entsprechenden Zeitschrift, Wissenschaftlicher Beirat der Lindauer Psychotherapietage, und sicherlich vieles andere mehr: Otto F. Kernberg.

Nun bin ich gespannt, ob ich noch eine weitere Rückmeldung von Ihnen zu Kernbergs ungeheuerlicher Position erhalte.

In einer Antwort heißt es: “Sie haben sich viel Arbeit gemacht mit Ihrer Stellungnahme, die mir von viel Emphathie und Betroffenheit getragen zu sein scheint, die ich als persönliche Betroffenheit respektieren kann.”

Mein Text – in dem ich Kernbergs “Konzept” attackiere, die ein Opfer zum Täter macht – wird zwar als Ausdruck “persönlicher Betroffenheit” respektiert, es wird aber nicht ausdrücklich zu der von mir kritisierten Position Stellung bezogen. Sollte denn mein “mit viel Arbeit” erstelltes Papier mit seinen umfangreichen Zitaten des Artikels tatsächlich so wenig aussagekräftig gewesen sein, daß nicht auch ein wenig mehr inhaltlich auf die von mir zurückgewiesene Position hätte eingegangen werden können? Ist es denn so schwer, die Position zurückzuweisen, daß bspw. das Hauptproblem einer von ihrem Vater vergewaltigten 10jährigen darin bestehe, einen sexuell erregenden Triumph über die Mutter zu erleben, oder daß der Suizid einer von ihrem Therapeuten verführten Klientin vor allem als Ausdruck der Transformation von einem Opfer zum Täter zu verstehen sei?

Natürlich darf das jede/r von Ihnen so halten, wie sie/er gerne möchte. Leider gibt es tatsächlich Menschen, die derartige Ungeheuerlickeiten für Weisheit halten.

Meine erklärte Absicht ist es jedenfalls, gegen Kernbergs “Theorie” zu Felde zu ziehen, bspw. indem ich mich bemühe, sie von einer Ethik-Kommission prüfen zu lassen, oder indem ich mich dafür stark mache, daß er z.B. aus dem “Wissenschaftlichen Beirat” der “Lindauer Psychotherapiewochen” ausgeschlossen wird.

Ich freue mich über jede Art der Unterstützung bei diesem Vorhaben.

Mit freundlichen Grüßen – Klaus Schlagmann

 

Gleichzeitig leite ich den Text von K. Schlagmann an die Gruppe dgipconnect weiter. Sie scheint mir der Beachtung und Stellungnahme wert. Ich möchte darauf hinweisen, dass einige Teilnehmer unserer Gruppe auch direkt an den Absender geschrieben haben könnten.

Mit freundlichen Grüßen – K. H. W.

Saarbrücken, den 04. Oktober 2000

Sehr geehrter Herr Kollege W.,

vielen Dank für die Weiterleitung meiner Antwort!

Erlauben Sie mir noch eine direkte Frage: nach den ersten Reaktionen aus Ihrem Kreis auf meine Stellungnahme habe ich mich kürzlich gefragt, was eigentlich die „Individualpsycho­logen, die sich doch vermutlich der Gefolgschaft Alfred Adlers verpflichtet fühlen, von den klassischen Psychoanalytikern unterscheidet. Kann es sein, daß manche sich der Freudschen Schule gedanklich doch stark wieder angenähert haben? Dabei hatte sich Adler – meines Wissens – doch damals sehr deutlich und wohl begründet gegenüber Freud abgegrenzt. Eine derartig skandalöse Individualisierung und Ausblendung sozialer Wirkfaktoren – wie bei Kernberg – wäre bei ihm doch wohl unvorstellbar gewesen – oder nicht?

MfG – Klaus Schlagmann

 

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

Sie haben Recht mit dem, was Sie über Adler sagen, auch damit, dass sich manche Individualpsychologen der Psychoanalyse angenähert haben. Aber die Psychoanalyse ist schon lange nicht mehr das Triebmodell, und Kernberg ist zum Glück nicht die Psychoanalyse, auch wenn er manchmal so tut und so gehandelt wird.

Zur meiner Sicht der Position der IP schicke ich Ihnen einen Vortrag. Weitere Arbeiten von mir finden Sie unter www….de, zur Abgrenzung nehmen besonders die Aufsätze “Ich-Identität …” und “Einheit der Neurose” Stellung. Zu Ihrem Artikel werde ich Ihnen in den nächsten Tagen einen kurzen Kommentar schicken.

Viel Erfolg weiterhin bei Ihrem eintreten für eine gerechte Sache. Im Kampf mit Kernberg wünsche ich Ihnen den “himmlischen” Beistand, den auch David gegen Goliath brauchte.

Mit freundlichem Gruß – Dr. K.-H. W.

 

Hallo Herr Schlagmann,

hier mein Statement zu Ihrem Artikel.

Allgemein stimme ich Ihnen zu in der Kritik an Kernbergs Therapievorschlag. Auch die Kritik an den diffamierenden Beschreibungen teile ich.

Allerdings gehen Sie mir in den Formulierungen zu weit. Kernberg hat eine theoretische Idee, mit der er sich zur allgemeinen Psychotraumatologie konfrontiert. Man muss diese Idee nicht teilen. Ich tue es nicht. Ich finde das ‘Lehrbuch’ von Fischer und Riedesser sehr gut.

Inhaltlich gehen Sie m. E. an einem wesentlichen Punkt vorbei: Sie greifen nicht einmal die Möglichkeit auf, dass sich die Opfer mit den Tätern identifizieren (Identifikation mit dem Aggressor). Tatsächlich können Opfer schrecklich grausam sein in ihrem Hass und in ihrer Rache. Diesen Typ bekommen wir nur selten in unserer Praxis zu sehen. Aber ich kann ein Lied davon singen, obwohl es nur wenige von diesem Typ sind, die ich kennengelernt habe. Die Frage ist, ob nicht die Täter in der Mehrzahl früher Opfer waren. Dazu gibt es ja einige Studien. Ich wiederhole nochmals, ich bin nicht für die Konfrontation der Opfer mit ihrem Hass. Ich habe viel von Reddemann und Sachsse gelernt.

Sie wehren sich gegen die “Gleichsetzung” von Opfern und Tätern, mit Recht. Es ist aber bei Kernberg von Identifizierung die Rede, das ist ein Abwehrmechanismus, weit entfernt von moralischer Gleichsetzung oder Gleichbewertung.

Am Schluss Ihrer Arbeit deuten Sie eine solche Identifizierung, die Sie für die Patienten ablehnen in bezug auf Kernberg selbst an, wenn Sie sagen, wahrscheinlich verarbeite er so vielleicht ein eigenes Trauma (durch die Mitleidlosigkeit den Opfern gegenüber und die Annahme einer Identifizierung der Opfer mit den Tätern). Bekanntlich sind die Eltern Kernbergs als Juden mit ihm als Kind in den 30er Jahren aus Österreich nach Südamerika geflohen. Er hat Verwandte, die im Holocaust umgekommen sind. Nicht ich unterstelle ihm die Identifizierung mit den Tätern. Meine Frage ist, ob Sie diesen Mechanismus am Schluss Ihrer Arbeit andeuten.

O.K. Viel Spass und Erfolg bei Ihrem tat- und wortkräftigen Feldzug.

Mit freundlichem Gruss – K. H. W.

 

Saarbrücken, den 23. Oktober 2000

Sehr geehrter Herr W.,

herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort, in der Sie teilweise Ihre Übereinstimmung mit meiner Kritik zum Ausdruck bringen, teilweise auch Ihre Abweichung formulieren.

Lassen Sie mich nun meinerseits noch einmal ein wenig auf Ihr Schreiben eingehen und dabei womöglich einige Klärungen vornehmen.

Sie schreiben: „Allerdings gehen Sie mir in den Formulierungen zu weit.“ Hier würde ich mir natürlich eine Konkretisierung wünschen, in welchen Äußerungen oder Stellungnahmen genau ich Ihnen zu weit zu gehen scheine. Umgekehrt gehen Sie für meinen Geschmack zu wenig weit, wenn Sie sagen: „Kernberg hat eine theoretische Idee, mit der er sich zur allgemeinen Psychotraumatologie konfrontiert. Man muss diese Idee nicht teilen. Ich tue es nicht.“ Wenn sich erweist oder plausibel vermutet wird, daß  ein bestimmtes Heilmittel oder Heilverfahren schädliche Folgen hat, dann ist dessen weitere Anwendung in hohem Maß unethisch (Bsp.: Contergan). Und ich behaupte, daß Kernbergs Empfehlungen und Vorschläge geradezu schädliche Folgen nach sich ziehen müssen! In eigener Praxis habe ich KlientInnen erlebt, denen es nach einer „Behandlung“ auf dem Hintergrund des „Triebmodells“ schlechter ging als zuvor. Meine geringen Mittel erlauben mir natürlich nicht, den positiven Nachweis zu erbringen, in welchem Ausmaß derartige Positionen schädlich sein können. Die kleine Kampagne kann jedoch vielleicht zu einem solchen Forschungsprojekt anregen. Man darf es m.E. nicht dabei bewenden lassen zu sagen: „Ich sehe es anders als Kernberg, ich mache es anders. Aber ich möchte ihm seine Position nicht streitig machen.“ Sondern: wenn sich die Vermutungen über eine schädliche Auswirkung derartiger Theorien erweist, dann müßte m.E. offensiver dagegen Stellung bezogen werden – z.B. auch von Seiten des Gesetzgebers.

Sie schreiben: „Inhaltlich gehen Sie m. E. an einem wesentlichen Punkt vorbei: Sie greifen nicht einmal die Möglichkeit auf, dass sich die Opfer mit den Tätern identifizieren (Identifikation mit dem Aggressor). Tatsächlich können Opfer schrecklich grausam sein in ihrem Hass und in ihrer Rache. Diesen Typ bekommen wir nur selten in unserer Praxis zu sehen. Aber ich kann ein Lied davon singen, obwohl es nur wenige von diesem Typ sind, die ich kennengelernt habe. …

Sie wehren sich gegen die ‚Gleichsetzung‘ von Opfern und Tätern, mit Recht. Es ist aber bei Kernberg von Identifizierung die Rede, das ist ein Abwehrmechanismus, weit entfernt von moralischer Gleichsetzung oder Gleichbewertung.“

Dazu möchte ich mehreres sagen:

ich bestreite überhaupt nicht das Phänomen, daß Opfer zu Tätern werden können;

trotzdem behaupte ich, daß selbst die Therapie von Tätern (erst recht also die Therapie von Opfern) an der Opfer-Seite anzusetzen hat; die Opfer-Situationen von Tätern (wie die von Opfern) müssen dabei auch wirklich ernst genommen werden;

wenn Opfer sich schuldig fühlen, dann bedeutet dies nicht, daß sie es auch sind;

es scheint mir unklar, was im allgemeinen unter „identifizieren“ bzw. „Identifikation mit dem Aggressor“ verstanden werden soll, und was Sie im Speziellen darunter verstehen.

zu a)

Daß Opfer zu Tätern werden können (aber nicht müssen), habe ich ausdrücklich bestätigt. Kernbergs Ungeheuerlichkeiten – so meine Hypothese – sind womöglich aus erlebten Opfer-Situationen heraus verständlich. Wenn Sie schreiben: „Diesen Typ bekommen wir nur selten in unserer Praxis zu sehen“, dann gestehen Sie ein, daß Sie selbst nur wenige solcher Fälle kennen. (Aus eigener mehrjähriger Praxis kenne ich übrigens eigentlich nur eine Betroffene, die in sehr deutlicher Form „Täterverhalten“ reproduziert hat.) Vermutlich landen diese Menschen eher im Gefängnis und werden dort – wenn sie Glück haben – mit einem guten Psychotherapeuten konfrontiert. Kernberg selbst führt kein wirklich ernstzunehmendes Beispiel dafür an. Seine Gleichsetzung von Opfer und Täter stellt für mich eine grobe Geschmacklosigkeit dar (KZ-Opfer) bzw. ist vollkommen widersinnig (10jährige; Suizidopfer). Insofern habe ich bei meiner Kritik diesen Punkt der Opfer-Täter-Transformation nicht vertieft.

Stellen Sie sich vor, die Polizei würde bei jedem Fall von Körperverletzung ihre Ermittlungen im wesentlichen darauf beschränken, die Beteiligung der Geschädigten an dem Geschehen aufzuklären – ob da nicht Provokation, masochistische Neigung, problematisches Risikoverhalten oder ähnliches vorliegen würde -, und die einzige Konsequenz würde in Bußgeldbescheiden bzw. Anklagen gegen die Betroffenen bestehen, weil sie durch ihre Anwesenheit am Ort des Geschehens zur Tatzeit das Delikt zu verantworten hätten. Dies scheint ungefähr die Logik zu sein, die ich in Kernbergs Haltung wahrnehme! Hiergegen richtet sich vor allem meine Kritik.

Aber Sie haben womöglich recht, daß ich dazu noch etwas ausdrücklicher hätte dazu sagen können. Das Mißverständnis wäre dadurch wohl vermeidbar gewesen.

zu b)

Selbst für eine Täter-Therapie halte ich es für zentral, daß diese Betroffenen zunächst ihre eigene Opfer-Geschichte gründlich aufarbeiten dürfen, und daß sie bei der Analyse ihrer Opfer-Situationen auch wirklich als Opfer begriffen werden. Es darf ihnen nicht für diese Situationen eine „ödipale“ oder wie auch immer begrifflich verunklarte „Schuldzugemessen werden. Sicherlich ist das beschriebene KZ-Opfer zum „Täter“ geworden. Aber die (v.a. auf psychischer Ebene ablaufende) aggressive, entwertende Behandlung der nächsten Angehörigen mit dem Abschlachten einer Familie im KZ gleichzusetzen stellt m.E. – wie gesagt – eine widerwärtige Geschmacklosigkeit dar. Denn hier verblassen m.E. die Täterseiten vollkommen gegenüber dem, was der Betroffene als Opfer erlitten hat. Regt sich nicht bei Ihnen sogar so etwas wie Verständnis für ihn, daß er vermutlich mit aufgrund dieser erschütternden Erfahrungen in seinen Verhaltensweisen geprägt wurde? Ist es nicht klar, daß der Bewältigung seiner aktuellen Konflikte eine Bewältigung seiner Opfer-Erlebnisse vorangehen muß?

Was meint Kernberg denn eigentlich, wenn er – übrigens gerade im Zusammenhang mit diesem KZ-Opfer – sagt: „Klinisch gesehen steht also ein haßerfülltes Opfer haßvoll einem haßerfüllten sadistischen Täter gegenüber“? Heißt das, daß KZ-Aufenthalte nur dann zerstörerisch auf die Persönlichkeit wirken können, wenn die Opfer schon ihren verinnerlichten Haß mitbringen? Will Kernberg hier seine Konzepte von „oraler Wut“ und „oralem Neid“ retten, indem er diesen Antrieben weiterhin das Primat bei der Entstehung schwerer psychischer Störungen zumißt? Wie lange noch will er – in alter psychoanalytischer Tradition – die Bedeutung traumatischer Erfahrungen an sich auf ein Minimum reduzieren und die „triebhaften Dispositionen“ in den Vordergrund rücken?

Lassen Sie mich dabei noch einschränken: Möglicherweise ist es tatsächlich so, daß gravierende spätere Traumatisierungen (KZ, Folter, Vergewaltigung u.a.) allein (oder zumindest überwiegend) bei „früh gestörte“ Menschen zu schweren Schädigungen der Persönlichkeit führen. Diese Position scheint übrigens Alice Miller (die ich sehr schätze) auf dem Hintergrund ihrer Erfahrung mit derartigen Menschen zu vertreten. Selbst wenn also in einer „frühen Störung“ der zentrale Faktor für die Entwicklung einer schweren Persönlichkeitsstörung liegen sollte, dann ist aber immer noch zu klären, ob denn nun eine angeborene, mangelhaft kontrollierte  Triebhaftigkeit des Säuglings zur Zerstörung der Eltern-Kind-Beziehung führt, oder ob nicht die Reaktion auf Beziehungsmuster der Erwachsenen das Kind in seinen Handlungsweisen entscheidend prägt. Die Säuglingsforschung scheint die letztere Position eindrucksvoll zu bestätigen (vgl. Dornes 1995, z.B. S. 140-150).

Sollten also gerade traumatische Erlebnisse in der frühen Kindheit verantwortlich sein dafür, daß spätere Traumatisierungen zu schweren Persönlichkeitsstörungen beitragen, dann ist Kernbergs Argumentation doppelt und dreifach zynisch. Er leugnet dann nämlich zunächst, daß die Betroffenen schon früh an Entwertung, Mißachtung, Mißhandlung, mangelnder Fürsorge und Zuwendung o.ä. gelitten haben könnten, sondern attestiert vielmehr den Säuglingen unbewältigte „orale Wut“ oder unbewältigte „ödipale Konflikte“. Dann werden spätere Trauma-Situationen nur deswegen als schädlich klassifiziert, weil das Kind dort seine unbewältigten triebhaften Deformationen einbringt. Und schließlich, wenn es sein muß, wird dem Opfer auch noch für alle folgenden Mißhandlungen bis ins Erwachsenenalter hinein vorgeworfen, daß es sich die schädlichen Folgen davon mit seiner mißratenen Persönlichkeit ganz allein selbst zuzuschreiben habe.

– Das KZ-Opfer bringt seinen Haß mit ins KZ – vermutlich den an ihm haften gebliebenen „oralen Neid“ – „Klinisch gesehen steht also ein haßerfülltes Opfer haßvoll einem haßerfüllten sadistischen Täter gegenüber“.

– Das unter 10jährige Mädchen prägt die Situation seiner Vergewaltigung durch seinen ungelösten „Elektra-Komplex“ – nur deswegen hat sie ja Grund, das (nach Kernberg) für die Pathogenese verantwortliche Schuldgefühl zu entwickeln. Hätte sie ihren Komplex bereits in dem von Freud dafür vorgesehenen Alter (2-5 Jahre) bewältigt, dann hätte sie nämlich die ihr vom Papa gebotene Chance, die Mama auszustechen, entrüstet abgelehnt. Daß es später zu dem kleinen Arrangement wie „in der Novelle ‚O‘“ kommt, daß sie also „als Geschenk“ den Freunden des Gatten angeboten wird, das hat sie bloß ihrer masochistischen Persönlichkeit zuzuschreiben.

– Mindestens dreifach versagt hat auch die suizidierte Klientin: daß sie eine antisoziale Persönlichkeit entwickelt hat, liegt vermutlich daran, daß sie weder ihren „oralen Neid“ noch ihren „Elektra.-Komplex“ bewältigt hat. Deswegen nutzt sie dann später auch skrupellos die Chance, durch das Vögeln mit ihrem Papa der Mama eins reinzuwürgen. Diese „ödipale Schuld“ treibt sie in die Depression. Ihre Boshaftigkeit findet dann ihren Höhepunkt, als sie ihren Therapeuten verführt, um sich dann unter Verweis auf diese Situation umzubringen – und damit dem Therapeuten (und sogar Kernbergs Klinik!) das Gericht auf den Hals zu hetzen. Was für ein durch und durch verdorbenes Geschöpf!

zu c)

Es gibt wohl das Phänomen, daß z.B. Inzest- und Gewalt-Opfer selbst „Schuldgefühle“ (oder für meinen Erfahrungshintergrund vielleicht besser passend: „Beschämungsgefühle“) entwickeln können. Inzest-Erfahrungen oder Erfahrungen von sexuellem Mißbrauch können womöglich in einzelnen Fällen bei dem „Opfer“ u.a. mit einem dadurch vermittelten Gefühl von Nähe, Aufwertung oder gar erregender körperlicher Empfindung verbunden sein, so daß sich Schuldgefühle dadurch sogar verstärken.

Anfang 1999 habe ich anläßlich der Mitwirkung an einer Studie sämtliche Fälle sexuellen Mißbrauchs im engeren oder weiteren Sinne rekapituliert, die ich in meiner Laufbahn erlebt hatte. Ich kam auf 21 Frauen und 3 Männer, die ich jeweils unterschiedlich lange begleitet hatte aus insgesamt ca. 250 KlientInnen-Kontakten während einer Klinik-Arbeitsstelle bzw. 248 Kontakten aus meiner Zeit seit der Niederlassung. Gefühle von starker Beschämung wurden regelmäßig berichtet, Schuldgefühle eigentlich nicht. Triumph-Erlebnisse habe ich in keinem einzigen dieser Fälle erzählt bekommen.

Völlig abgesehen davon, wie Mißbrauchsopfer derartige Situationen erleben: die Verantwortung dafür liegt m.E. ganz allein bei den erwachsenenTätern“. (Bei Geschwister-Inzest bzw. sexuellem Übergriff unter annähernd gleichaltrigen Jugendlichen ist die Angelegenheit natürlich komplizierter. Hier sind womöglich auch die Eltern wegen mangelnder Aufklärung, Fürsorge oder Rückhalt in der Verantwortung.) Wenn die Betroffenen selbst ein Schuldgefühl entwickeln, dann reflektiert dies m.E. vor allem eine überaus problematische Zuschreibung aus dem sozialen Umfeld. Solchen KlientInnen dann noch von therapeutischer Seite aus „Schuldgefühle“ einzureden, halte ich für katastrophal. Dies bedeutet m.E. nämlich eine Re-Traumatisierung.

zu d)

Um sagen zu können, daß sich die Opfer mit den Tätern „identifizieren“, müßte zunächst einmal sehr klar sein, was mit „identifizieren“ eigentlich genau gemeint ist. Heißt es, sich als Opfer „genau so“ zu verhalten wie der Täter? Oder gehört auch noch dieselbe Empfindung dazu? Oder läuft es vielleicht sogar darauf hinaus, eine innerliche Beteiligung und Mitwirkung an der Opfer-Situation zu behaupten?

Der psychoanalytische Umgang mit Worten und Begriffen scheint mir bisweilen recht verwirrend. In Bezug auf die Begriffe von „Narzißmus“ und „ödipalem Konflikt“ habe ich das an verschiedenen Stellen dargestellt (Schlagmann, 1996, 1997 a, 2000a, b, c). Darüber hinaus bietet Freud selbst vielfach plastische Kostproben von Begriffsverwirrung: „Ja“ heißt „Nein“, Ablehnung bedeutet Zuwendung, Kritik an anderen meint eigentlich Selbstkritik, Widerspruch beweist Zustimmung (diese Beispiele stammen aus dem ‚Bruchstück einer Hysterieanalyse‘, vgl. Schlagmann, 1997 b), Mitleid zeugt von Aggression (Freud an Pfister nach Kernberg).

In diese Strategie des „Konfusionierens“ paßt die Verwendung des „Identifizierens“ nun vorzüglich hinein. Lassen Sie mich einmal seine etymologischen Wurzeln freilegen:

Identisch ,ein und dasselbe bedeutend; völlig gleich (auch von Personen)‘ … identifizieren ‚etwas genau wiedererkennen; die Identität einer Person feststellen‘“ (Duden, Herkunftswörterbuch). „Identität f. ‚völlige Übereinstimmung, Gleichheit, Wesenseinheit‘ wird im 18. Jh. aus spätlat. identitas (Gen. identitatis) ‚Wesenseinheit‘ entlehnt, einer Ableitung von lat. idem ‚ebendasselbe‘ … identisch Adj. ‚völlig gleich, übereinstimmend‘ (18. Jh.). identifizieren Vb. ‚die Identität feststellen, einander gleichsetzen‘ Neubildung des 18. Jhs. nach Mustern wie klassifizieren, exemplifizieren u. dgl. denen lat. denominative Verben mit -ficare (vgl. lat. glorificare ‚glorifizieren‘), der Kompositionsform von lat. facere ‚machen, tun‘ zugrunde liegen. Dazu Identifizierung f. (19. Jh.).“ (Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, dtv).

Im normalen Sprachgebrauch verweist der Begriff „identifizieren“ also auf einen sehr bewußten, aktiven, reflektierten, rationalen Prozess des Vergleichens, Abwägens, Beurteilens, der dann zu einer Feststellung führt, daß zwei Personen ein und dieselbe sind, oder zumindest völlig übereinstimmen, wesensgleich sind. „Sich identifizieren mit jmd.“ muß also so etwas meinen wie „sich in den Eigenschaften eines anderen – sehr bewußt und reflektiert – wiedererkennen, sich – sehr bewußt und reflektiert – mit jemand anderem als Wesenseinheit erkennen“. Man „identifiziert“ sich also – sehr bewußt und reflektiert – z.B. mit einem Freund, einem Idol o.ä. (Die „Wesenseinheit“ sollte dabei wohl eigentlich eine moralische Gleichsetzung mit einschließen!)

„Identifizieren“ meint bei Kernberg einerseits einen relativ normalen, gesunden Prozess des Aufbaus von Ich-Strukturen (1990, S. 44 ff). Andererseits wird darin ein „Abwehrmechanismus“ gesehen, z.B. die „Identifikation mit dem Aggressor“. Bei Anna Freud (1975, S. 125 ff; von ihr v.a. auf Kinder bezogen) oder Otto F. Kernberg selbst (1990, S. 145f; 198; 348) wird dieses letztere Konzept immer im Zusammenhang der Umsetzung erlebter Aggressionen in eigene aggressive Handlungen gebraucht. Das Beobachten entsprechenden Verhaltens führt erst auf den Rückschluß, daß eine „Identifizierung“ vorliege! Abgesehen davon, ob man nun also eine moralische Gleichsetzung vornimmt (was eigentlich nahe liegt) oder auch nicht: der Begriff der „Identifikation“ – so wie er von den zwei AutorInnen benutzt wird – impliziert, daß man das Verhalten desjenigen, mit dem man sich „identifiziert“, auch zeigen kann.

Betrachten wir noch einmal, was Kernberg über den Therapieerfolg bei der Patientin sagt, die als noch nicht 10jährige mehrfach vergewaltigt wurde: „Von dem Moment an, als sie sich nicht mehr als Opfer sehen mußte, konnte sie sich auch mit ihrer eigenen sexuellen Erregung in diesem unbewußten und jetzt bewußten Sieg über die ödipale Mutter zurechtfinden und ihre Schuld tolerieren. Sie erlangte so die Fähigkeit, sich mit dem Täter zu identifizieren, nämlich mit der sexuellen Erregung des sadistischen, inzestuösen Vaters … Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie fähig, einen Orgasmus im sexuellen Verkehr mit ihrem sadistischen Freund zu erleben.“

„Identifizieren“ bedeutet (s.o.), das Verhalten desjenigen zeigen zu können, mit dem man sich „identifiziert“. Das heißt, daß nach Kernberg die Klientin – „identifiziert“ mit dem Täter, mit dessen sexueller Erregung – nun auch wesensgleiche Handlungen zeigen können muß, also sexuelle Erregung bei sadistischen, inzestuösen Kontakten. Diese (von mir noch bewußt unscharf gehaltene) Umschreibung wird bestätigt, wenn Kernberg anführt, daß diese Klientin nun in der Lage ist, bei ihrem sadistischen Partner einen Orgasmus zu erleben.

Allerdings scheint sich hier etwas zu verwischen, denn ein solches Verhalten zeigt ja nun gar nicht eine „Identifizierung mit dem Aggressor“, sondern höchstens eine „Identifizierung mit dem idealen Opfer des Aggressors“ – nämlich mit einem Opfer, das willenlos seine Rolle mitspielt. Diese „Identifizierung mit dem idealen Opfer“ – ein bedeutendes Phänomen, das mir in der psychoanalytischen Literatur noch gar nicht so explizit formuliert zu sein scheint, markiert also – nach Kernberg – offensichtlich ebenso einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Heilung.

„Richtiges“ „Identifizieren“ müßte in diesem Fall aber eigentlich heißen, daß die Klientin nun Lust bekommen müßte, selbst einmal die Peitsche oder Fessel in Anwendung zu bringen, anstatt sich der sadistischen Prozedur zu unterwerfen. Vielleicht war ja auch ein solcher Heilungs-Erfolg durchaus zu verzeichnen und wurde von Kernberg nur der Kürze der Darstellung wegen nicht weiter ausgeführt.

Wenn Kernberg tatsächlich gelingt, was ihm da vorschwebt, dann passiert folgendes: einerseits hat die Klientin – identifiziert mit ihrem unbewußten Elektra-Selbst – ihre Schuld zu fühlen, daß sie die Vergewaltigung durch ihren Vater als Triumph über die Mutter erlebt hat. Andererseits muß es ihr – identifiziert mit dem Aggressor – gelingen, die Vergewaltigung eigener Kinder „geil“ zu finden, als etwas, dem sie sich als Täterin lustvoll, ungestört von Schuldgefühlen, überlassen würde. Schließlich muß es ihr – identifiziert mit dem idealen Opfer – gelingen, beim Vergewaltigt-werden einen Orgasmus zu erleben. Wenn sich die Klientin mit diesem Kernbergschen Identifizierungs-Wirrwarr infizieren läßt, dann wird sie als Schizophrene, wenn nicht gar als multiple Persönlichkeit auf der Strecke bleiben müssen.

Sie sehen, daß die Verwirrung eigentlich schon schlimm genug ist. Und wenn Sie, Herr Witte, sagen: „Es ist aber bei Kernberg von Identifizierung die Rede, das ist ein Abwehrmechanismus“, dann scheint mir dies die Verwirrung noch zu vergrößern. Sollte das „Identifizieren“ „mit der sexuellen Erregung des sadistischen, inzestuösen Vaters“ ein „Abwehrmechanismus“ sein? Was sollte die Klientin damit „abwehren“? Hat es ihr zuvor an diesem „Abwehrmechanismus“ gefehlt, daß sie ihn sich jetzt – durch die Therapie bei Kernberg – erworben hat? Oder will Kernberg hier sagen, daß dank seiner „Therapie“ die Klientin nun diesen „Abwehrmechanismus“ bewußt vollzieht, was sie vorher – unbewußt – ohnehin schon getan hat? Erlauben Sie mir, daß ich über dieses Ausmaß des Durcheinanders nur noch den Kopf schüttele und nicht mehr ernsthaft probiere, dem Sinn derartiger Ausführungen nachzuspüren. Ebensowenig wie Kernbergs Empfehlung, als Therapeut müsse man lernen, sich mit KZ-Kommandanten, Folterern und Kinderschändern zu „identifizieren“.

Am Ende Ihrer Antwort schreiben Sie: „Nicht ich unterstelle ihm (Kernberg; K.S.) die Identifizierung mit den Tätern. Meine Frage ist, ob Sie diesen Mechanismus am Schluss Ihrer Arbeit andeuten.“ In der Tat vermute ich, daß Kernbergs Ausblendung der Täter-Seite damit zu tun hat, daß er in einer durchaus komplexen Art und Weise – wie ich es in meinen „Mutmaßungen“ umschrieben habe – zum Opfer geworden ist. Es wird Sie aber wohl nicht wundern, wenn ich ausdrücklich ablehne, dafür den Begriff der „Identifizierung“ zu bemühen.

Mir scheint es erforderlich und sinnvoll, von dem von seiner Etymologie her als eindeutig aktiven, bewußten Vorgang der „Identifizierung“  einen eher passiven Mechanismus begrifflich abzugrenzen, z.B. als „Prägung“: ein Kind übernimmt durch den alltäglichen Kontakt mit Eltern und Geschwistern unreflektiert deren Gestik, Mimik, Sprachwendungen, Gepflogenheiten. Oder: einem Kind prägt sich womöglich durch häufiges Geschlagen-werden ein, daß Kinder eben so behandelt werden müssen oder dürfen. Dieses Kind mag dann in der Elternrolle seinerseits seine Kinder schlagen und dies recht bewußt mit einer ähnlichen Einstellung, in einer ähnlichen Art und Weise tun, wie es selbst geschlagen worden ist.

Wird ein Kind besonders schwer mißhandelt, dann mag es in diesen Situationen möglicherweise dissoziieren, „in Trance gehen“. In diesem Zustand können bestimmte Verhaltensmuster besonders nachhaltig durch „Konditionierung“ verankert werden. (Pawlow ging übrigens davon aus, daß seine Hunde bei seinen Versuchsanordnungen z.T. sehr schnell in einen hypnotischen Zustand gerieten und dann besonders effektiv und nachhaltig lernten!) Ein solches Kind wird später in der Elternrolle womöglich auch in bestimmten Situationen die eigenen Kinder mißhandeln, und zwar so, daß es – wie im Reflex – vollkommen „ausrastet“. Es mag danach womöglich sehr genau erkennen, daß es dies eigentlich gar nicht wollte, daß es sich innerlich eigentlich von dem gezeigten Verhalten distanziert. Es kann dabei womöglich auch über das selbst erlebte Ausmaß an Gewalt hinausgehen. (Daß ein Opfer in seiner Grausamkeit über das hinausgehen kann, was ihm selbst angetan wurde, zeigt m.E. z.B. der Kindermörder Jürgen Bartsch.)

Lassen Sie mich diese Überlegungen auf meine Mutmaßung über Kernberg übertragen. Wird ein Kind wegen einer Kleinigkeit massiv bestraft, und wird es dann auch noch massiv gezwungen, sich für das „böse“ Verhalten zu entschuldigen, quasi bedingungslos zu kapitulieren, dann gerät es auf diese Art und Weise in totale Verwirrung und Anspannung, was zu einer Dissoziation führen kann. In diesem Zustand ist es für Suggestionen besonders empfänglich, beispielsweise dafür: „Wenn die Mama/der Papa mit dem Kind schimpft, dann ist auf jeden Fall immer das Kind böse gewesen, ganz egal, was die Mama/der Papa vorher gemacht hat! Kinder zeigen häufig Haß, Wut, Neid, Boshaftigkeit – das muß ihnen ausgetrieben werden! Nur so können sie zu gesunden, normalen Erwachsenen werden!“

„Prägung“ und „Konditionierung“ – wie ich sie verstehe – sind Prozesse, die bei einem Betroffenen eher passiv ablaufen, während „Identifizierung“ einen aktiven Prozess meint. Es kommt sicher nicht von ungefähr, daß in der Psychoanalyse mit Vorliebe auf die „Identifizierung“ zurückgegriffen wird, denn es gehört zur triebtheoretischen Grundhaltung, in erster Linie den aktiven Anteil des Säuglings an dem Geschehen zu betonen. In ihm werden die „Perversionskeime“ verortet, die er nicht kontrollieren könne. Kernberg ist ein Spezialist für derartige Beschuldigungen von Kleinkindern (vgl. Schlagmann, 1997 a).

Dem halte ich jedoch meine Position ausdrücklich dagegen, daß ich den Faktoren einer passiven Beeinflussung gerade im frühen Kindesalter eine weitaus größere Bedeutung zumesse. Die Befunde der Säuglingsforschung (vgl. Dornes, 1995, z.B. S. 140-150) scheinen mir diese Frage eindeutig entschieden zu haben: Kinder re-agieren höchst sensibel auf die Verhaltensmuster ihrer Eltern! Diese Dynamik bei der Entstehung schwerer psychischer Störungen auf den Kopf gestellt zu haben – die Opfer zu Tätern erklärt zu haben – halte ich für die verhängnisvollste Fehlleistung von Sigmund Freud. Sie ist – meiner Analyse nach (Schlagmann, 1997a, 2000a, b, c) – auf eine sehr persönliche, konflikthafte Familiengeschichte Freuds zurückzuführen, bei der eine problematische Mutterfigur eine sehr prägende Rolle gespielt hat. Freuds theoretische Verdrehung (09/1897) hatte eine zumindest dreifache Funktion:

  1. a) er hat damit zum einen die Einsicht in diesen Konflikt (Mutter Amalia als tyrannische, herrschsüchtige Person; Vereinnahmung durch sie, dadurch Autonomieverlust; Entfremdung vom Vater, Verführung (durch die Mutter) zu dessen massiver Abwertung; massive Trauer um den Verlust dieses wichtigen Rollenmodells bei seinem Tod 10/1896) abgewehrt;
  2. b) zum anderen hat er damit – in Form einer Selbstbeschuldigung (die er sogleich zur allgemeinen Beschuldigung des Kindes z.B. als ‚polymorph pervers‘ generalisiert hat) – quasi Sühne geleistet für die von ihm kurz zuvor begangene massive Entwertung des Vaters (als ein Perverser, der die eigenen Kinder, auch ihn selbst, oral vergewaltigt hätte 02/1897);
  3. c) schließlich hat er das Tabu zementiert, eine Mutter zu beschuldigen, indem er die pauschale Beschuldigung der Väter ebenso pauschal auf die Kinder verschoben hat. Das dritte Element des familiären Dreiecks, die Mutter, hat er – ebenso pauschal – für immer fast völlig in einem entschuldenden Dunkel belassen hat. Lediglich in den Überlegungen zum Narzißmus (Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, 21.02.1912) attestiert er dem „eigentlichen Typus Weib“, er „liebt den Mann nicht, sondern ist in der Regel im Stadium des Narzißmus stehengeblieben. Auch das Kind liebt sie, als Teil ihres Selbst, narzißtisch.“ Die typische Mutter liebe das Kind also quasi nur als Objekt, und nicht um seiner selbst willen.

Die Triebtheorie, die die Wirklichkeit in katastrophaler Weise auf den Kopf stellt, hat Freud als „geistiges Erbe“ seinen Jüngern hinterlassen. Otto F. Kernberg bewährt sich als sein treuer Verwalter, der diese Hinterlassenschaft sorgfältig hütet und sogar weiter vermehrt. Bei ihm handelt es sich offensichtlich um einen psychisch schwerst gestörten Menschen, der es trotz – oder vielleicht besser: gerade wegen – seiner Profession nie geschafft hat, das selbst erlebte Leid einmal gründlich zu bearbeiten. Denn die Lehranalyse nach klassischem Muster, der er sich als Analytiker zu unterziehen hatte, ist eine Paradesituation, in der einem Menschen in Bezug auf alle möglichen Opfer-Situationen unter den Hauptrubriken „Narzißmus“ und „ödipaler Konflikt“ eine Täterschaft suggeriert wird.

Der Versuch, Kernbergs Position zu verstehen, so etwas wie „Mitleid“ mit ihm zu entwickeln, stellt dabei für mich eine Notwendigkeit dar, damit ich mich überhaupt mit seinen Texten auseinandersetzen kann, ohne bei jedem Satz vollkommen fassungslos zu werden. Seine Theorie dient, so meine Vermutung, der Kompensation eigener Leidenserfahrungen – wie bei Freud. Mit seinen Schriften beweist er, wie sehr er heute Menschen eine Täterschaft einredet für Situationen, in denen sie selbst eindeutig Opfer gewesen sind. Damit vollzieht Kernberg selbst vermutlich eine Transformation von der Opfer‑ zur Täterrolle. Natürlich vermag ich nicht abzuschätzen, wie sehr seine heutige Täterschaft gegenüber früheren Opfersituationen verblaßt. Ich bin sicher, daß er einiges aufzubieten hat, um einen gewissen Ausgleich in dieser Bilanz herzustellen. Jedoch können sämtliche Dinge, die ihm widerfahren sind, nicht geeignet sein, seine Ausführungen in irgendeiner Weise zu rechtfertigen. Seine pathologische Art, die Welt und die Menschen zu sehen, kann dadurch höchstens verständlicher werden.

Jedenfalls ist es höchste Zeit, diesem schrecklichen Spuk ein Ende zu bereiten.

Mit freundlichen Grüßen – Klaus Schlagmann

 

02.11.00

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

danke für Ihre ausführliche Stellungnahme. Sie bringen ernst zu nehmende Argumente. Ich möchte aber aus Zeit- und Kräftemangel nicht weiter darauf eingehen.

Lassen wir den Meinungsaustausch so bestehen, die ungeklärten Fragen bleiben ungeklärt. Für Ihre Arbeit weiterhin viel Glück und Erfolg. K. H. W. 

 

TENDENZIELLE ZUSTIMMUNG

H., M.

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

Ihre Empörung über die Pathologisierung der Opfer von Gewalttaten kann ich gut verstehen. Ich sehe mich allerdings ausser Stande, Ihnen eine Rückmeldung zu Ihrer Stellungnahme zu geben, wenn ich den Originaltext, auf den sich diese bezieht, nicht kenne.

Außerdem finde ich für eine sachliche Auseinandersetzung nicht zweckdienlich, Mutmaßungen über die persönliche Leidensgeschichte des Autors anzustellen.

Mit freundlichen Grüßen – M. H.

 

G., U.

Sehr geehrter Kollege Schlagmann,

Ihren Widerwillen gegen diesen Artikel teile ich. Problematisch an Ihrer Stellungnahme ist, daß sie keine klare theoretische Grundlage durchgängig vertreten, sie argumentieren z.b. zwischen VT und Tiefenpsychologie hin und her.

Von meinem therapeutischen Selbstverständnis her verstehe ich mich als Verhaltenstherapeut. Dies bedeutet auch, daß ich es mir erlaube, Partei zu ergreifen für meine Patienten. Konstrukte wie “Unbewußtes” und “Verdrängung” sind für mich wissenschaftlich nicht belegt, insofern arbeite ich auch nicht mit ihnen. Ihre Kritik an Kernberg müßte für mich früher ansetzen, nämlich an seinen empirisch nicht überprüften Konstrukten.

Viele Psychoanalytiker versuchen (bei Beibehaltung ihrer therapeutischen Abstinenz) Erklärungen zu finden für etwas, wofür ihre Theorie versagt. Dabei kommt dann ein solcher Unsinn heraus. Ob Herr Kernberg selber traumatische Erlebnisse gehabt hat, vermag ich nicht zu sagen, deutlich wird aber, daß er mit diesem Themenkomplex hoffnungslos überfordert ist. Ich erlaube mir, mit ihm Mitleid zu haben und auch mit seinen Patienten, die ihm möglicherweise ausgeliefert sind.

Mit freundlichen Grüßen  –  U. G.

 

R., F.

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

ich bin gerade mit einer sehr ähnlichen Sache befaßt und teile Ihre Motivation und Ihr Anliegen voll und ganz. Haarsträubend, was da manche Autoren in die Welt setzen. Und leider sind das keine Ausnahmen, sondern in latenter Form ist das weitverbreitet. Ich bitte um Zusendung Ihres Artikels.

Mit freundlichen Grüßen, F. R.

 

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

Ihren Artikel habe ich mit Interesse gelesen. Wie Ihnen schon mitgeteilt, sympathisiere ich prinzipiell mit Ihrem Anliegen, teile im Prinzip auch Ihre Argumentation und engagiere mich in einer ähnlichen Sache. Ohne Ihnen persönlich nahetreten zu wollen (was sich vermutlich nicht vermeiden läßt), muß ich Ihnen jedoch mitteilen, daß ich Ihren Text sehr unprofessionell geschrieben (die ausladende Rhetorik ändert daran nichts) und damit kontraproduktiv finde. Ihre ständigen Suggestivfragen nerven eher, als daß sie Solidarität erzeugen; Ihre penetrante Empörtheitsrhetorik läßt einen innerlich aufstöhnen, bei aller berechtigten Kritik; Ihre Ferndiagnose des fraglichen Autors ist zwar nachvollziehbar, aber höchst spekulativ und unseriös; ebenso unseriös ist die Nicht-Nennung des betr. Artikels und Autors; etc. Wie gesagt, ich halte das engagierte Einschreiten gegen solche Art von therapeutischer Ideologie prinzipiell für wünschenswert und erforderlich, um die Patienten vor derartigen Indoktrinationen zu schützen. Solche Kritik muß dann aber von Form und Inhalt her angemessen, professionell und seriös sein, sonst erweist sie Ihrer eigenen Sache einen Bärendienst. Ich möchte Ihnen daher empfehlen, Ihren Text gründlichst zu überarbeiten bzw. von Ihrem Vorhaben lieber die Finger zu lassen, da es für Ihr (und mein) an sich berechtigtes Anliegen m.E. kontraproduktiv ist.

Mit freundlichen Grüßen, F. R.

 

ZUSTIMMUNG

S., A.

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 3. September 2000. Mit ist zwar unklar, wie ich in Ihren Verteiler geraten bin, gebe ich Ihnen aber trotzdem gerne eine kurze Rückmeldung.

1) Ich teile Ihre Skepsis gegenüber dem psychoanalytischen Triebmodell: Hier handelt es sich m.E. nicht um eine wissenschaftliche Theorie, die eine mögliche Erklärung für menschliches Verhalten anbietet, sondern um eine Ideologie, die mit totalitärem Wahrheitsanspruch auftritt und jede Kritik sofort als Bestätigung der eigenen Position umdeutet (z.B. Kritik am “Ödipus-Komplex” als Ausdruck ödipalen Verhaltens).

2) Die von Ihnen zitierten Textstellen befremden mich, da in ihnen das an den Opfern begangene Unrecht verharmlost und damit dem bereits geschehenen Unrecht ein weiteres hinzugefügt wird. Allerdings sehe ich mich außerstande, ein Gesamturteil abzugeben. Ich halte es für wissenschaftlich unverantwortlich, die Position eines Autors nur aufgrund einiger Zitaten ohne Kenntnis des Gesamtzusammenhanges zu beurteilen. Ich frage mich, warum Sie uns jegliche Quellenangaben vorenthalten. Das Argument der “Unbefangenheit” halte ich für überaus fadenscheinig.

Am Ergebnis Ihrer “Aktion” bin ich interessiert. Einer namentlichen Nennung meiner Person stimme ich nur zu, wenn meine Kommentare 1) und 2) in ungekürzter Form zitiert werden.

Mit freundlichen Grüßen  –  Ihr A. S.

 

B., D.

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

da ich als eher verhaltenstherapeutisch orientierter Psychologe (im Forschungsbereich empirisch tätig) geringe Kenntnisse von tiefenpsychologisch fundierten Traumatheorien habe, ist meine Antwort auch nur eingeschränkt kompetent.

Erste Reaktion …. Unverständnis.

Zweite Reaktion, es sind verschiedene Sachverhalte zugrundeliegend. Es ist anhand von Modellernen zumindestens nachvollziehbar, daß es bei kognitiv unreflektierten emotionalen Reaktionen Ähnlichkeiten in der Verhaltensweise der Machtausübung geben kann. (Fallbeispiel 1).

Alle anderen abstrusen Ideen scheinen das Schwergewicht der Argumentation auf einem minimalsten Teilbereich von traumatisierten, vorstellbaren Reaktionen zu sein. Wenn dies aber als das tragende Moment dargestellt werden soll, halte ich dies als gröbstens verfälschend, alle anderen, wahrscheinlich massivsten und lebensbedrohenden Leiden unterschlagende (möglicherweise instrumentell zu nutzende, aber) inkompetente Äußerung.

Persönlich halte ich davon: Ein Zeugnis von Verachtung und Zynismus.

Kollegialer Gruß D. B., Dipl.-Psych.

P.S.: Woher haben Sie meine E-Mail-Addresse?

 

W., A.

Sehr geehrter Herr Kollege Schlagmann,

mir als Verhaltenstherapeut ist die Argumentation in dem benannten Artikel fremd, wenn nicht sogar abwegig. Wenn sie jedoch eine Diskussion unter Analytikern anregen möchten, empfehle ich die Mailingliste für Psychotherapeuten. Eintragen können Sie sich auf der Liste unter: www.psychotherapie.org Gruß A. W.

(Der Versuch, mich bei der Mailingliste anzumelden, blieb irgendwie erfolglos.)

 

S., P.

Lieber Kollege,

das, was Sie da zitieren ist tatsächlich pervers. Als Verhaltenstherapeut bin ich nicht gewohnt den verschlungenen Pfaden der Argumentation zu folgen. Also Widerspruch ist sicher nötig – m.E. zeigt es die Hilflosigkeit des Autors, sich pathologisches Verhalten anders zu erklären. Viel Erfolg weiterhin – P. S.

 

 

C., H.

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

habe soeben Ihr Kernberg Papier gelesen, ich finde, weder “Weisheit noch Wahnsinn”, sondern schlicht kriminell. Der Kerl hat einfach panische Angst, zeitweise mit seinen “Patienten” mitzufühlen, darum muss er sich mit Kommandanten und Co identifizieren, das ist alles. Sie haben recht, das ist wirklich ein krimineller Schwachsinn. Natürlich haben wir alle – in Kulturen wie der unsrigen – ein gehöriges Ausmass auch an destruktiver Aggression in uns, aber, das ist nicht in allen Kulturen so.

Warum würden Sie “polit. motiv. Tyrannenmord” etc. als Ausdruck Ihrer Aggression sehen? Muss doch nicht sein.

Er will, dass sich die Opfer mit den Tätern identifizieren, aber im Bsp. mit dem grauslichen Vater ist – möglicherweise – ja genau das passsiert … Identifikation mit dem Aggressor.

Meine Idee: schicken Sie ihm den Text, mit Modifikation, dass Sie ihn anreden. Wäre interessant, was für einen Schwachsinn er antworten würde …

Ich habe ihn vor Jahren im TV erlebt, wo er, ich weiss nicht mehr genau, zeigen wollte, dass er Leute auch wo anders hinschickt: Es ging um eine Frau, die bei ihrem Mann keinen Orgasmus haben konnte, mit ihrem Liebhaber ja, und er hat sie zu jemand geschickt, der ihr Techniken für befriedigendes Sexleben beibringen kann, die Antwort von Sophie Freud, dass das doch nicht das Thema sein kann, hat er ignoriert. Seit damals halte ich ihn für einen alten Trottel.

Herzliche Grüsse – H. CP..

P.S. als Gegengewicht – ein schönes Buch: Duncan, Hubble, Miller “Aussichtslose Fälle”

 

Saarbrücken, den 2. Februar 2001

Sehr geehrte Frau Dr. C.,

herzlichen Dank für Ihre klaren Worte gegen Kernberg. Ihn selbst habe ich übrigens schon vor längerer Zeit angeschrieben – keine Reaktion.

“Aggression” ist m.E. übrigens von der Wertung erstmal neutral. Sie kann durchaus positiv und sinnvoll sein (z.B. Tyrannenmord), aber auch destruktiv. Der Ursprung (aggredi – an etwas herangehen) ist m.E. offen für beide Seiten.

Ich hoffe, daß es gelingt, ein wenig mehr Widerstand gegen Kernberg zu mobilisieren. Ich meine, daß er mit seiner menschenverachtenden Haltung wirklich untragbar ist.

Liebe Grüße – Klaus Schlagmann 

 

W., I.

Hallo Herr Schlagmann!

Mit Entsetzen habe ich die Thesen des Autors über das psychoanalytische Triebkonzept gelesen.

Noch bin ich am Anfang meiner Karriere als Psychologin, doch bei diesen Positionen schreit der ‘normale Menschenverstand’ nach massiver Opposition. Das darf nicht ohne Kommentar unter dem Namen der Psychologie veröffentlicht werden.

Bitte mailen Sie mir doch Ihre Position zu.

Mit freundlichen Grüßen – I. W.

 

S., G.

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

ich muß zugeben, daß mich die von Ihnen zitierten Aussagen über die “Behandlung” von Opfern verschiedenster Gewaltformen erschrecken.

In der Tat scheint mir der zitierte Artikel bestens geeignet, um jeden Menschen mit gesundem Menschenverstand an der Profession “Psychotherapie” zweifeln zu lassen.

Das ist eine spontane Reaktion auf die Lektüre Ihres Schreibens und ich bitte Sie, das als erste Rückmeldung zu verstehen und (noch) nicht weiter zu verwerten. Ich werde mich mit dem Text noch in Ruhe auseinandersetzen und mich dann wieder bei Ihnen melden.

Herzliche Grüsse  –  Ihr G. S.

P.S.: Ich habe auch in Ihrer Website gestöbert. Kann es sein, daß Sie bei den Analytikern nicht sehr beliebt sind, ob ihrer Kritik? 😉

 

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

ich habe mir lange überlegt, wie meine Antwort an Sie ausfallen soll.

a.. Zum einen teile ich (zumindest teilweise) Ihre Entrüstung über den geschilderten Text. Einigen der geschilderten “Deutungen” könnte ich – im Rahmen einer Therapie – durchaus einige Berechtigung einräumen, während mich andere tatsächlich entsetzen. In einer Veröffentlichung scheinen sie mir in der Form allerdings sehr fehl am Platz – und treffen auch nicht meine Überzeugung wie die Therapie traumatisierter Patienten auszusehen hat.

– Ich denke auch, daß wir unseren Klienten helfen müssen, die eigene Aggression/Wut  zu spüren und ernst zu nehmen, damit sie lernen können, sich zur Wehr zu setzen.

– Ich denke auch, daß wir  in der moralische Bewertung der Taten (“KZ”, Mißbrauch durch den Vater oder den Freund) klar sein müssen. Die Verantwortung liegt beim Täter! Und obwohl es manchmal für Klienten hilfreich sein kann, die Verstrickung des Täters in sein eigenes Schicksal zu erkennen, denke ich auch nicht, daß ich mich mit einem Vergewaltiger, Mörder etc. identifizieren muß. Die Verantwortung liegt beim Täter, nicht beim Opfer.

– Auch die Schlußfolgerungen, die Sie (in Anlehnung an Sachse und Linnehan) für die Therapie ziehen, teile ich voll.

– Selbstverständlich sehe ich im geschilderten Verhalten jenes “narzistisch gestörten” Psychiaters einen gravierenden Therapeutenfehler und sehe auch keinen Grund, der Klientin die Schuld für die “Verführung zu geben”.

– So stimme ich Ihnen in vielen Punkten überein, ohne sie jetzt im einzelnen aufführen zu wollen.

b.. Andererseits entstellen Sie die Aussagen des Autors (Kernberg?) an manchen Stellen: Er spricht nicht von der Psychodynamik des Lagerkommandanten und davon, daß der Klient die gleiche Psychodynamik habe, sondern schildert den Eindruck, den das Verhalten des Klienten beim Therapeuten hinterläßt! Diesen Eindruck in der Therapie zu nutzen halte ich durchaus für legitim und in einer tiefenpsychologischen Therapie auch für notwendig, auch wenn mir die Veröffentlichung dieser Gedanken nicht gelungen erscheint.

c.. Problematisch erscheint mir aber, Ihr Vorgehen, gegen diesen Text. So naheliegend die Analyse der Lebensgeschichte des Autors erscheint, hat sie – denke ich – in einer fachlichen Auseinandersetzung mit diesem Artikel nichts verloren. Darüber hinaus hielte ich es für äußert unwissenschaftlich, wenn ich eine fundierte Stellungnahme zu einem Text abgeben sollte, den ich nicht im Ganzen gelesen habe! Zumal, wenn diese Stellungnahme dann noch in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden sollte. Auch Ihre Methode, im Internet nach Psychologen zu suchen und diese anzuschreiben ist … zumindest ungewöhnlich.

Bevor ich also eine “zitierbare” Antwort auf Ihr Schreiben geben kann, müßte ich zumindest Gelegenheit haben, den betreffenden Text im Original zu lesen.

Mit freundlichen Grüssen  –  Ihr G. S.

 

Sehr geehrter Herr S.,

herzlichen Dank für Ihre umfangreiche Antwort.

Lassen Sie mich kurz erwidern: sie sind anscheinend ein Kenner der Materie. Sie haben recht. Das von mir ursprüngliche gewählte Vorgehen – den Autor ungenannt zu lassen – ist problematisch. Aber ich meine, daß mir dieses Vorgehen bisher durchaus etwas gebracht hat. Ich habe bisher zumindest eine Rückmeldung erhalten, die ich bei Nennung des Namens sicherlich nicht in dieser Klarheit bekommen hätte. Ich bin noch gespannt auf die Reaktion auf meine mittlerweile erfolgte “Offenbarung”. 

Die von mir kritisierten Passagen finden sich in dem Artikel: Persönlichkeitsentwicklung und Trauma. In: Persönlichkeitsstörungen – Theorie und Therapie (PTT), Jg. 3 (1999), Heft 1, S. 5-15. Der Autor ist tatsächlich der amtierende Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, Mitherausgeber der entsprechenden Zeitschrift, Wissenschaftlicher Beirat der Lindauer Psychotherapietage, und sicherlich vieles andere mehr: Otto F. Kernberg.

Ich danke Ihnen, daß Sie mir so klar in vielen Punkten zustimmen.

Sie schreiben: “Andererseits entstellen Sie die Aussagen des Autors (Kernberg?) an manchen Stellen: Er spricht nicht von der Psychodynamik des Lagerkommandanten und davon, daß der Klient die gleiche Psychodynamik habe, sondern schildert den Eindruck, den das Verhalten des Klienten beim Therapeuten hinterläßt!” Kernberg hat tatsächlich nicht von Psychodynamik gesprochen. Aber ich wollte dabei sogar etwas zu seinen Gunsten unterstellen. Wollte ich Kernbergs Aussage wörtlich auffassen, daß sich der Mann “seiner Familie gegenüber so verhielt, als ob er der Kommandant des KZs sei, in dem seine ganze Familie ermordet wurde“, dann wäre der Blödsinn dieser Aussage ja direkt offensichtlich: Es wird nicht berichtet, daß Kernbergs Klient für seine Familie Baracken errichtet, Appelle durchgeführt, und Erschießungen vorgenommen hätte. Also muß die Aussage: “sich so verhalten, als ob” gedeutet werden. Und da habe ich mal “Psychodynamik” unterstellt – was tatsächlich eine Fehldeutung sein könnte. Aber aus Kernberg ist an dieser Stelle nicht weiter schlau zu werden. Nur kann Kernberg beileibe nicht behaupten, beide Männer hätten sich “gleich” verhalten. Höchstens, daß sich die Struktur ihres Verhaltens ähnlich sei. Und dies finde ich ungeheuerlich, denn es ist m.E. ein riesiger Unterschied, ob ich eine Familie drangsaliere, oder ob ich ein Vernichtungslager betreibe. Wenn Kernberg – oder andere – dies anders sehen, dann ist das ja o.k. Dann müssen sich die entsprechenden Leute aber wohl auch gefallen lassen, daß sie dafür energischen Widerspruch kassieren.   

Da hilft auch nicht das Zaubermittel zu sagen, daß ich als Therapeut das eben so empfinde, daß ich das in der Gegenübertragung ganz deutlich spüre. Mit diesem Quatsch kann ich mich auch darauf zurückziehen, daß ich ganz deutlich spüre, wie die suizidierte Klientin ihren armen Therapeuten zum Opfer mache, oder daß ich spüre, daß das 10jährige Luder beim Sex mit dem Papa die erregende Lust empfinde, die Mama auszustechen. Selbst wenn bei TherapeutInnen im Kontakt mit ihren KlientInnen derartige Eindrücke entstehen, dann halte ich das zwar für vorstellbar und dann auch erstmal für nicht zu ändern, aber ich halte es auch weder für legitim, noch für notwendig, diese eigenen Perversionen auf Therapeuten-Seite den KlientInnen als begnadete Deutungen einreden zu wollen. Denn diese oder ihre Krankenkassen haben Geld dafür bezahlt, daß sie geheilt werden, und nicht dafür, daß irgendjemand seine unbewältigten Neurosen an ihnen ausläßt. Das heißt – wohlgemerkt – nicht, daß ich nicht auch als Therapeut eigene emotionale Reaktionen bei mir wahrnehme und auch in den therapeutischen Prozess einfließen lasse. Aber hier sollte man zu unterscheiden lernen, was nun therapierelevante Emotionen sind, und was aus eigenen unbewältigten Neurosen entspringt. Es scheint mir zu simpel zu sein, jeden erbärmlichen Affekt eines Therapeuten – als Gegenübertragung geadelt – sofort für therapeutisches Gold zu halten. Das von Kernberg empfohlene Spektrum – entwickelt aus dem „identifizieren“ mit KZ-Kommandanten, Folterern und Kinderschändern – scheint mir da komplett UNGEEIGNET zu sein. Und – wohlgemerkt – er meint ja tatsächlich nicht, daß JEDES entstehende Gefühl von therapeutischem Nutzen sei. Denn MITLEID scheint man ja auf jeden Fall bei sich unter Kontrolle halten zu müssen. Dagegen scheint man den sadistischen, inzestuösen Trieben in der Phantasie freien Lauf lassen zu sollen. Eine solche Haltung ist in meinen Augen PERVERS!!! Und diese PERVERSION verdient m.E. eine Reflexion über mögliche Entstehungszusammenhänge.

Ob es tatsächlich unfachlich sein muß, über Handlungsmotive von Autoren zu spekulieren – zumal diese Spekulationen als solche deklariert sind und ja auch eher in einer verständnisvollen Art formuliert sind: ich bemühe mich ja, ein mögliches LEIDEN zu rekonstruieren – das sei dahingestellt. Herrn Kernberg wird ja dagegen freie Bahn eingeräumt, über die PERVERSEN Gelüste von 10jährigen oder suizidierten Therapie-Opfern zu spekulieren, wobei er hierfür noch quasi einen OBJEKTIVEN Standpunkt reklamiert.

Ich finde es schon etwas seltsam, wenn mir gegenüber der Vorwurf der Unsachlichkleit hier erhoben wird. Würden Sie Kernbergs Ungeheuerlichkeiten auch das Etikett “unwissenschaftlich” anhängen, würden Sie auch da meinen, daß sie in “fachlichen Auseinandersetzungen nichts verloren” hätten? 

MfG – Klaus Schlagmann

 

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

Sie überschätzen mich. Ich bin keine Kenner der Materie. Ich bin in erster Linie “Systemischer Familientherapeut” und in zweiter Linie “Verhaltenstherapeut”. Ich habe allerdings das eine oder andere Buch von Kernberg gelesen und in Ihrer Website gestöbert … daher die Assoziation.

Aber sie haben recht. Obwohl ich weiß, daß die Psychoanalyse ein anderes (eher hermeneutisches) Wissenschaftsverständnis hat, als z.B. ein VTler oder anders ausgedrückt: als ein experimentell naturwissenschaftlicher Psychologe, finde ich die Aussagen des Herrn Kernberg an dieser Stelle (speziell in seinen Aussagen über die suizidierte Patientin) in hohem Maße unsachlich, unwissenschaftlich, den Klienten gegenüber extrem abwertend und der Profession Psychotherapie schädlich. Obwohl ich mir therapeutische Situationen vorstellen kann, in denen ein Klient z.B. von der erwähnten Deutung, er verhalte sich ähnlich wie der Lagerkommandant, profitieren könnte. Immer vorausgesetzt, sie kommt im richtigen Rahmen und aus einer Haltung der Achtung und des Respekts für den Klienten. Kernbergs Aussage über das Mitleid kann ich überhaupt nicht teilen. Obwohl ich meine Klienten nicht “bemitleide”, baut meine Arbeit doch auf einer starken Empathie, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl. Soweit eine kurze Antwort. Ich bin sehr gespannt, was sich aus Ihrer Initiative ergeben wird.

Danke für die Nennung der Quelle. Ich werde versuchen, mir den genannten Artikel zu besorgen, und Ihnen dann gerne noch einmal Rückmeldung zukommen zu lassen.

Herzliche Grüsse  –  Ihr G. S.

 

 

Literatur

Borch-Jacobsen, Mikkel (1997): Anna O. zum Gedächtnis. Eine hundertjährige Irreführung. München

Breuer, Josef & Sigmund Freud (1895/1991): Studien über Hysterie. Frankfurt a.M.

Dornes, Martin (1995): Der kompetente Säugling. Frankfurt a.M.

Drigalski, Dörte v. (1991): Blumen auf Granit. Eine Irr- und Lehrfahrt durch die deutsche Psychoanalyse. Frankfurt a.M.

Duden (1989): Herkunftswörterbuch, Mannheim

Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), München

Freud, Anna (1975): Das Ich und die Abwehrmechanismen. München

Freud, Sigmund (1901/1905/1993): Bruchstück einer Hysterieanalyse. Frankfurt a.M.

Israëls, Han (1999): Der Fall Freud. Hamburg

Kernberg, Otto F. (19905): Borderline-Störungen und Pathologischer Narzißmus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.

Kernberg, Otto F. (19913): Schwere Persönlichkeitsstörungen. Theorie, Diagnose, Behandlungsstrategien. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart.

Kernberg, Otto F. (1993): Psychodynamische Therapie bei Borderline-Patienten. Unter Mitarbeit von Michael A. Selzer, Harold W. Königsberg, Arthur C. Carr und Ann H. Appelbaum. Verlag Hans Huber, Bern u.a.

Kirsch, Anke (1999): Arbeiten der Fachrichtung Psychologie, Universität des Saarlandes. Nr. 190. Erste Ergebnisse eines Expertendelphis zum Thema „Trauma und Erinnerung“. Saarbrücken, 1999. Fachrichtung 6.4 Psychologie, Postfach 15 11 50, D 66041 Saarbrücken.

Nunberg, Hermann & Ernst Federn (Hg.) (1976-1981): Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (Bd. I – IV). Frankfurt a.M.

Schlagmann, Klaus (1996): Die Wahrheit über Narziß, Iokaste, Ödipus und Norbert Hanold. Versuch einer konstruktiven Streitschrift. Saarbrücken

Schlagmann, Klaus (1997 a): Zur Rehabilitation der Könige Laios und Ödipus oder: Die Lüge der Iokaste. Saarbrücken

Schlagmann, Klaus (1997 b) Zur Rehabilitation von ‚Dora‘ und ihrem Bruder oder: Freuds verhängnisvoller Irrweg zwischen Trauma- und Triebtheorie. Bd. I: Der Fall ‚Dora‘ und seine Bedeutung für die Psychoanalyse. Saarbrücken

Schlagmann, Klaus (2000 a) Der Widerspruch zwischen dem Begriff des Narzißmus und dem Inhalt des entsprechenden Mythos – auf dem Hintergrund von Freuds theoretischem Umbruch von 1897. Material zu einem Vortrag beim 13. Symposion „Zur Geschichte der Psychoanalyse“ vom 18.-20.02.2000 in Tübingen

Schlagmann, Klaus (2000 b): Die Mythen von Narziß und Ödipus als Geschichten von Traumatisierungen. Vortrag, gehalten auf dem Internationales Symposion „Kränkung und Krankheit. Katathym-imaginative Psychotherapie bei somatischen Erkrankungen und Mißbrauchs­traumen“ vom 30.06-02.07.2000 in Halle/Saale. Abgedruckt in: “Psychotraumatologie und Katathym-imaginative Psychotherapie”, hrsg. von U. Bahrke und W. Rosendahl, Pabst Science Publishers, Lengerich u.a., 2001, S. 108-119.

Schlagmann, Klaus (2000 c): Ödipus  – positiv gesehen. Widersprüche zur psychoanalytischen Deutung. Material zum Vortrag beim 2. Weltkongress für Positive und transkulturelle Psychotherapie, „Psychotherapy for the 21st Century“, 5.-9. Juli in Wiesbaden