Hier möchte ich Material bereitstellen, das in den Recherchen zu Wilhelm Jensen angefallen ist.
An erster Stelle hier die Titelseite des Widmungsexemplars der “Gradiva” an Wilhelm Jensens Sohn Paul. Der Eintrag datiert vom 17. Februar 1903.
Hier das Original.
Der Text lautet:
„Seinem lieben Paul vom Papa.
München, 17 Febr. 1903.
Um freundlichen Empfang zu bitten,
Kommt Gradiva [= gedruckter Titel des Buches] hier ‚geschritten‘.
Zweifel waren zwar zu lesen
Ueber ihr leibhaftiges Wesen
Und auch solche offenbart
Ueber ihre Gangesart.
Aber selbst hab’ ich so gehen
In Pompeji sie gesehen,
Und besuchen nochmals will
Ich sie nächstens im April
Denn sie soll dann dort zu zwei’n
(August und Grete im Verein)
Auf der Hochzeitsreise sein.“
(Im Familienbesitz von Wilhelm Jensen, Sohn von Paul Jensen.)
Wilhelm Jensen erzählt auch an anderer Stele, dass er die “Gradiva” selbst in Pompeji so habe gehen sehen. Eien Tag, nachdem er das Widmungsgedich an seinen Sohn Paul verfasst hat, schreibt er an seinen ältesten Jugendfreund, Gustav Droysen, in einem Brief, dem ein gewidmetes Exemplar der Gradiva beigelegt ist:
Im Brief an seinen Jugendfreund Gustav Droysen, mit dem er diesem ein ebenfalls kurz gewidmetes Exemplar beigelegt hatte, heißt es:
„München, 18. Febr. 1903 …
Für eine müßige Stunde schicke ich dir beigeschlossen ein närrisches Phantasiestück, das Zumuthung an starken Glauben stellt. Aber Märchen sind ja nicht für den Zweck da, einen Extract von Verstandessäften aus sich herauspressen zu lassen, und so belustigt dich der Schwank vielleicht ein Weilchen.
Gegen Märzausgang beabsichtigen wir mit unsrer Maina eine – vermuthlich letzte – Römerfahrt anzutreten und auf dieser auch die Gradiva wieder zu besuchen, die sich nach mir zugegangenen neuesten Nachrichten im April in Pompeji auf der Hochzeitsreise befinden soll. Unser geplanter Stationsweg ist: Bozen, Genua, Pisa, Rom, Neapel, Pompeji, Sorrent, Capri; Neapel, Rom, Assisi, Perugia, Florenz, Fauunza, Ravenna, Ferrara, Padua (Monti), Viienza. Die letzten vier ‚Orte’ sind uns noch fremd; ungefähr am 10. Mai gedenken wir wieder in München zu landen, um alsbald zum Häusle hinaus zu segeln.“
Gut einen Monat später, am 21. März 1903, heißt es in einem Brief Jensens an Wilhelm Stekel:
“In etwa 14 Tagen denke ich die Gradiva wieder über die Trittsteine Pompeji’s in’s Haus des Meleager gehen zu sehen, so wie ich sie dort schon mehrmals angetroffen.”
Dies macht jedenfalls deutlich, dass Jensen keineswegs unreflektiert vor sich hin fantasiert, sondern sich der Bezüge zu eigenen Erlebnissen sehr bewusst ist.
Stekel und seine psychoanalytische Kollegen, die ja angeblich daran interessiert sind, die Entstehung kreativer Prozesse wie zB das Schreiben einer Novelle nachzuvollziehen, kommen hier scheinbar nicht auf den Gedanken, genauer nachzufragen: „Wie genau meinen Sie das?“