Margarete Akoluth

… und ihr Bericht über eine missratene Therapie (2004)

“Bericht über den Versuch, eine misslungene Analyse zu bewältigen.”

Margarete Akoluth hat in sehr klarer Sprache die Erfahrungen aus ihrer Psychoanalyse niedergelegt: Ihr Analytiker, Dr. L, verlässt eines Tages den gewohnten Behandlungsrahmen und greift nach ihrer Hand. In den kommenden Sitzungen ermuntert er sie, ihn zu berühren, zu umarmen, ihre Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken und in Handlungen umzusetzen. In dieser vertrauten Atmosphäre hatte sie einmal, „beglückt darüber, dass er heil und gesund aus seinem Urlaub im Wallis zurückgekehrt war, mit einem schnellen Kuss seine Lippen gestreift“ (S. 24). Er hatte sie ermuntert, ihre Lebendigkeit zu zeigen. Aber trotzdem spürt Frau Akoluth eine diffuse Begrenzung (S. 25): „zwar konnte ich spüren, was alles an guten Gefühlen, Wärme, Liebe da war, aber wenn ich daran teilhaben wollte, schien alles nur eine Illusion zu sein, war mögliche Nähe durch innere Distanzierung aufgehoben.“ Ihren offen vorgetragenen Zweifel etikettiert der Analytiker als „hässliche Soße des Verbots“. Seine Worte signalisieren ihr immer wieder die Zulässigkeit ihrer Wünsche (S. 26): „’Erlauben Sie sich Ihre Sehnsucht!’“ Aber sie registriert auch sehr präzise die Signale seiner Handlung (S. 23): „Ich hörte nicht auf meine innere Stimme, nicht auf seine Körpersprache, die mir zeigte, dass er einen Schritt zurück trat, sein Gesicht abwandte, den Stuhl zur Seite zog, ehe Berührung oder Umarmung geschah.“ In diesem Zwiespalt entwickelte sie das brennende Bedürfnis, Klarheit zu bekommen, von ihm – quasi als Erlösung aus ihren bestehenden Zweifeln – einen Kuss zu bekommen (S. 26): „Tausend Mal wichtiger aber war für mich der Gedanke, dass ich ihm absolut würde glauben können, wenn er über seinen Schatten springen und mir einen Kuss geben würde. Das wäre gleichsam die Bestätigung, dass ich seinem Versprechen trauen kann, die Gefühle, die Lebendigkeit zu leben und zu zeigen, die ich in mir trage. So sollte dieser Kuss die Erlaubnis sein, mein Leben wirklich als meines leben zu dür­fen, nicht mehr für andere und deren Wünsche da sein zu müssen.

An anderer Stelle resümiert die Autorin zu ihrem Wunsch (121): „Ich, die alternde Frau, hatte ihn, den für mich jungen Therapeuten, einst demütig gefragt: „… und ich darf Sie wirklich lieb haben?“ Drauf hatte er, sich erbarmend, geantwortet: „Aber das wissen Sie doch, Frau A.“ … Mit dem Wunsch nach einemKuss bat ich ihn gleichzeitig um seienn Segen für mein eigenes Leben. Wenn die Atmosphäre zwischen uns durch die vielen Umarmungen, das viele Geschwätz von Liebe und Gegenliebe, Zuneigung und gern haben nicht so aufgeladen gewesen wäre, hätte mein innerer Wächter gewiss einen anderen Weg gefunden, weniger spektakulär, gesellschaftsfähiger, angepasster, einer ‚höheren Tochter’ angemessener. Einfältig bat ich Ermutigte, endlich mutig Gewordene, ihn um einen Kuss.“

Ab diesem Zeitpunkt kommt es zu einem unversöhnlichen Bruch. Der Therapeut unternimmt einen radikalen Rückzug und lässt die Autorin in ihrer ratlosen Verwirrung allein. Die Verantwortung für den Ablauf wird mit entwertenden Deutungen überwiegend der Betroffenen selbst zugeschoben. Das Bemühen der Autorin, auf ihre Kosten die entstandene Verwirrung aufzulösen, die Angelegenheit – unter Zuhilfenahme eines externen Moderators – zu klären, scheitert kläglich an der Verstocktheit des Analytikers. Sie wendet sich schließlich an eine Fachgesellschaft und will ihre Analyse-Erfahrung in Bezug auf die Einhaltung ethischer Richtlinien überprüfen lassen; deshalb bittet sie den Vorsitzenden der Gesellschaft, ihr eine Anlaufstelle für ihr Anliegen zu nennen (S. 107): „Und er nannte den Namen: die Adresse von Dr. L. Ich war wie vom Donner gerührt. Er war also der oberste Hüter der ethischen Regeln seiner Fachgesellschaft. Wäre er doch ein einfacher Dorfanalytiker gewesen!

Wer sich für die bisweilen bizarren Abläufe im Rahmen einer Psychoanalyse interessiert, wird mit großem Gewinn diesen klaren und flüssig geschriebenen Bericht von Margarete Akoluth lesen.

Ich möchte hier vertieft eingehen auf Vorwort und Nachwort, in die der Text von Margarete Akoluth eingebettet ist: Zum einen das Vorwort von Tilmann Moser, zum anderen das Nachwort von Siegfried Bettighofer. An beiden Texten nehme ich gravierende Mängel wahr.