Frau Venus

Frau Venus

Fragmentblätter einer Novelle

(veröffentlicht in „Stimmen des Lebens“, 1881, S. 71 ff)

Willst du’s deutlich Dir enthüllen,
Mußt du selbst die Lücken füllen,
Sie empfinden, sie verweben,
 Und in eigner Brust beleben.

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Blätter, leicht im Winde schwankend,
Hierhin neigend, dorthin rankend;
Halb erträumt und halb geschehen
doch entkeimt, um zu verwehen;
Jedes Frühlings neue Märe,
Jedes Herbstes alte Lehre.

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Frau Venus, wie hast du so schöne
    Heut Morgen Dich angethan,
Als dich noch meine Augen
    In alle Zeit nicht sahn!
Die Sterne des Himmels alle
    Zerrannen in bleichem Neid,
Sie waren nur blasse Krystalle
    An deinem Demantenkleid.

Ich stand auf Bergeshöhe,
    Mir schien’s wie seliger Traum:
Es war die Morgenröthe
    Nur deines Gewandes Saum,
Das hatte zu Perlengefunkel
    Verwandelt die Schatten der Nacht;
Trüb schritt der Mond in’s Dunkel,
    Erschrocken vor deiner Pracht.

Erschrocken vor Deinem Glanze,
    Barg selbst die Sonn’ ihr Gesicht
Und hielt in Nebelschleier
    Gehüllt ihr zögerndes Licht;
Da hast mit alleinigem Scheine
    Du Erd’ und Himmel erhellt –
Ich glaub’, du regierest alleine,
    Frau Venus, die ganze Welt!

So will auch ich die Hände
    Aufstrecken zu Deinem Thron,
So will auch ich die Kniee
    Dir beugen in Demuthsfrohn:
Zu dir, Frau Venus, red’ ich
    Mit Hand und Herz und Haupt:
Frau Venus sei mir gnädig,
    Der stets an dich geglaubt!

I

Ganz still; es liegt der Mittagsschein
    Wie Flammen auf den fernen Bergesmatten;
Ein Hauch wacht auf und schlummert ein,
    und lautlos kürzen sich die Giebelschatten.

Vom Garten leisen Athems weht
    Ein heißer Duft von Thymian und Lavendel,
Und leise hin und wieder geht
    Der alten Wanduhr Amourettenpendel.

So ging in meiner Kindheit schon
    Er tickend auf und ab die gleichen Wege,
Und durch die Stille klingt sein Ton
    Gleichwie verschollener Zeiten Herzensschläge.

Was will ihr Raunen heut’ – was rinnt
    Durch’s eigne Herz mir heut’ aus ihrem Klange,
Dass es zu pochen auch beginnt
    So lebenssüß und doch so todesbange?

Umfängt in dieser Stille mich
    Ein schauernd unsichtbares Geisterweben,
Und ringt begrabne Liebe sich
    In meinem Herzen auf nach neuem Leben?

 

II

Was lässt du deine Nebel wallen,
Was lässt du Blatt um Blatt entfallen
    Vom grauen Stamm, o Herbstesstund’,
Und tödtest nicht die Kraft des Lebens,
des rastlos neuen Frühlingswebens
    In seiner Wurzel tiefstem Grund?

Was zählst du schleichend mir die Jahre,
Was färbst du langsam mir die Haare
    Und furcht die Stirn dein spielend Erz?
O sende deinen schnellsten Boten
Und mit der Schattenhand der Todten
    Berühre mein rebellisch Herz!

III

Trat aus langer Wochen Nebel
    Böse Fee zu mir heran,
Die ein Netz von grauen Fäden
    Mir um Herz und Sinne spann.

Da betraf mich deiner Augen
    Wundersamer Rettungsstrahl,
Und befreit aus dumpfem Stocken
    Schlug mein Herz zum ersten Mal.

Deine kleinen Hände schwebten
    Lösend leise her und hin
Vor dem Lächeln deiner Lippen
    Schwand das trübe Nachtgespinn.

Tief nach Odem ringend, wähnte
    Die beklommene Brust sich frei,
Wußte nicht, dass sie in andern
    Banden nur gefangen sei.

Denn wer löst bei Tag und Nächten
    Nun den neubestrickten Sinn
Mir von deinem eignen, holden
    Bann, du süße Zauberin?

IV

Wo nur ich schreite
    Durch’s Herbstgefild,
Geht mir zur Seite
    Dein lieblich Bild.

Von seinen Füßen,
    Wohin sie gehn,
Grün muß ich sprießen
    Den Boden sehn.

Um mich nur trauert
    Ein ödes Feld,
Von Reif umschauert
    Liegt müd’ die Welt.

Doch Blumen breiten
    Sich lichtumthau’t,
Wohin im Schreiten
    Dein Auge blau’t.

Wohin im Neigen
    Streift deine Hand,
Aus Blüthenzweigen
    Glänzt dein Gewand. –

Wo nun ich schreite
    Durch’s Herbstgefild,
Giebt mir Geleite
    Dein Frühlingsbild.

V

Nun bringt der Herbst mir Veilchen,
    Die duften, wie im März –
Was wollt ihr die Tage mir wandeln?
    Was schlägst du wie einst, mein Herz?

Was pochst du in hastigen Schlägen,
    Als folge dem März der Mai? –
Vorüber, vorüber, ihr Träume!
    Nur Träume seid ihr – vorbei!

VI

Sprich, mein Herz, was so Dich beglückt!
Ist es der März, der mit Blumen sich schmückt?

Ist es der Wind, der vom Bergeshang
Summet so lind seinen Lenzesgesang?

Plätschert der Bach mit silberner Flut
Lieblich wach dir das eigene Blut?

Lächelt sei Gold der Sonenschein
Märchenhold durch die Brust Dir hinein?

Schmeichelt die Luft so süß und so weich?
Steigt der Duft aus der Erde so reich?

Ist’s weil dich traf eines Auges Strahl,
Süßer als Himmel und Erde zumal?

Sprich, mein Herz, was so dich beglückt,
dass sich der März zum Mai dir geschmückt!

VII

Was nie der Stolz des Herzens,
    Was nie der Mund gesteht,
Es bebt im Blick des Auges,
    Das einmal sich verräth.

Daß einmal sein Geheimniß
    Aufglänzt, wie Sternenlicht,
Das aus der dunklen Tiefe
    Des stummen Himmels bricht.

Und mögen Wolken drüber
    Sich drängen lang und dicht,
Wem einmal so geleuchtet
    Ein Stern, vergißt ihn nicht.

Und ob gedankenschnell nur
    Des Blickes Traumgespinn,
Wem einmal so er grüßte,
    Gab er ein Leben hin.

VIII

Von Allem, was der Himmel schuf,
    Was ist dir, süßer Frühling, gleich?
    Mit deinem blauen Märchenreich,
Mit deiner Lerchen erstem Ruf,
Mit deiner glanzdurchwebten Luft,
    Mit deinen holden Kindern all,
    Mit deiner Blüthen Ueberschwall,
Mit deiner Rosen Jugendduft -?
Doch hat mich nichts in’s Herz hinab
    So süß durchbebt mit Frühlingslust,
    Als welk und arm an deiner Brust
Der Strauß, den ich dir blühend gab.

(Vermutlich erinnert sich Wilhelm Jensen hier an seine letzte Begegnung mit Clara Witthöfft am 1. Mai 1857, einen Tag vor ihrem Tod. Er selbst hat die Situation in einem Brief aus dem Jahr 1888, wohl zum 50. Geburtstag von Clara Witthöfft, einer gemeinsamen Freundin geschildert, wie es sich auch in der Novelle “Jugendträume” findet: dort bringt ein junger Mann der Freundin am Vorabend ihres Todes einen Fliederstrauß, den er dann in ihren Armen auf dem Totenbett wiedersieht. Das erklärt das scheinbare Paradox: Es ist ihm tiefe Befriedigung zu ahnen, dass die Geliebte sich in ihren letzten Atemzügen am Duft des von ihm gepflückten Fliederstrauchs erfreut hat.)

IX

Ist denn nur in einem langen
Traum vergangen
    Mir der Jahre Lust und Leid,
Daß mich deine süßen Wangen
Heut gefangen
    Halten wie in Frühlingszeit?

Sind denn Traum auch nur der Flocken
Weiße Docken,
    Die mir schon die Stirn umreift,
Daß mein Herz noch jäh erschrocken,
Als die Locken
    Deiner Schläfe mich gestreift?

Ach, was kommst du, zu umschlingen,
zu umklingen
    Mit Bethörung dich und mich?
Eines Frühlings Lichtsyringen
Mir zu bringen,
    Der auf immer von mir wich?

Deinen Wahn nicht dir zu Füßen
Laß mich büßen –
    Fern nur laß, du holder Mai,
Mich in deines Auges süßen
Lenzesgrüßen
    Träumen, dass noch jung ich sei!

X

Das ist süßeste Füll’
    Aller Himmelswonnen,
Die nichts Anderes will,
Als heimlich und still
    Zwei Herzen durchsonnen.

Zwei Herzen, die beid’
    Nichts begehren, verlangen,
Als nur allezeit
Sich mit seligem Leid
    Im Traum zu umfangen.

XI

    Die Knospe, die Du mir gegeben,
Die welk nach Haus ich heimgebracht,
    Ein Wunder hat zu neuem Leben
Sie aufgeschlossen über Nacht.

    Mein Blick sah staunend sie am Morgen
In ihrer vollen Rosenpracht –
    Was hat aus ihrem Kelch verborgen
Den Duft vergossen über Nacht?

    Nicht Antwort wollte sie mir geben,
Und nur mein Herz hat still gedacht:
    Das deine hab’ mit stummem Beben
Sie hold durchflossen über Nacht.

XII

O holdes Vergehn
    Des dämmernden Tages:
Still lauschend zu stehn
In der Blätter Wehn
    Und zu harren des summenden Glockenschlages.

Da rauscht dein Gewand –
    O wonnige Stunde –
Am Treppenrand
Auf die kleine Hand
    Neig’ ich mich nieder mit seligem Munde.

Kein Laut, als nur
    Des Regens Tropfen,
Als vom dunklen Flur
Das Ticken der Uhr
    Und deines Herzens hastiges Klopfen.

Im letzten Schein
    Ein weißer Schimmer
Des Armes allein
Doch leuchten darein
    Zwei Augen wie zitternder Sterne Geflimmer.

Da redet’s und lacht,
    Da kommt es gegangen –
Nun flüstert es sacht:
Gute Nacht! – Gute Nacht! –
    Und der Regen umbraust mir die glühenden Wangen.

XIII

In der Menge fremdem Kreise
Laß mich harren vor den Thüren,
Wenn du nahst im Festgewand;
Einmal nur verstohlener Weise
Laß mich rühren
Deine kleine weiße Hand –
Einen Hauch nur süß und leise
Laß mich spüren,
Streifend meiner Schläfe Rand.

Dann im mitternächtigen Schweigen
Dunkler, winteröder Bäume
Harrend will ich stehn
Durch den lauten Festesreigen
Lichter Räume
Deinen Schatten schweben sehn,
Daß aus reifumstarrten Zweigen
Frühlingsträume
Süß durch meine Seele gehn.

XIV

Der hat wohl reich erfahren,
    Wie voll das Leben blüht,
Der mit erbleichten Haaren
    In Liebe noch erglüht.

Dem mag wohl offenbaren
    Sich aller Wunder Buch,
Dem noch in grauen Haaren
    Ein Herz entgegenschlug.

Der Sommer geht zur Wende
    In Garben steht das Feld,
O Frühling sonder Ende,
    O süße Blüthenwelt!

Der Sommer geht zur Wende,
    Die Bäume stehn entlaubt,
Doch in die weißen Hände
    Leg’ ich mein graues Haupt.

XV

Schön ist Liebe, die sich offen
    Vor dem Licht des Tag’s bekennt,
Die vor keinem Blick betroffen
    Scheu den Strahl der Augen trennt
Und ihr Sehnen und ihr Hoffen
    Mit beglückten Lippen nennt.

Aber süßer, ach, vielleicht
    Ist die Liebe, die zum Herzen
Wie ein scheuer Frevler schleicht;
    Die im Jubel ihren Schmerzen
Nie entrinnt und unerreicht
    Um des Glückes Altarkerzen
Wie ein nächt’ger Falter streicht.

Die sich bang’ im Dunkel findet,
    Die mit athemloser Brust
Hastig-heimlich sich umwindet;
    Ihrer Schuld sich stets bewußt;
Ihre Lippen nur verbindet,
Daß wie Traum das Glück ihr schwindet,
    Doch mit höchster Liebeslust
Auch der Liebe Leid empfindet.

Süßer, ach, vielleicht umfangen
    Von der Liebe Seligkeit
Als die ruhevollen Wangen
    Die vor Schuld und Scheu befreit;
Süßer, ach, ist dieses Bangen,
Dies Erringen, dies Verlangen,
    Dieses Glück und dieses Leid!

XVI

Deine allzu kühlen Briefe
    Mahnen mich an kühle Quellen,
Die aus felsiger Bergestiefe
    Ihre klaren Wasser schwellen.

Plaudernd plätschert ihr Gerinsel
    Fort in hüpfend kleinen Wellen,
Sorglich stets die weißen Kiesel
    Ihres Bettes zu erhellen.

Und so drängt es stets von hinnen,
    Immer ein Vorüberschnellen,
Ein Entweichen und Entrinnen,
    Ein Zerstieben und Zerschellen.

Manchmal nur aus dem Gedränge
    Unter Stein- und Wurzelschwellen
Sammelt stille Wassermenge
    Sich an kleinen dunklen Stellen.

Und dort schimmert es und funkelt
    Grün und golden aus der Tiefe,
Als ob drunten süß umdunkelt
    Tiefgeheimes Wunder schliefe.

XVII

Nun sitz’ auf meinen Knien
    Und wiege leis dich hin und her,
Und laß uns Phantasieen
    Umwogen wie ein wallend Meer.

Die Wellen kommen und gehen,
    Sie strahlen in Abendsonnenglut,
Und flüsternde Lüfte wehen
    Hin über schaumzersprühende Flut.

Es leuchtet aus rosiger Ferne
    Darüber ein Schloß vom Inselstrand,
Wie diamantene Sterne
    Erglühen die Fenster der marmornen Wand.

Von Rosen und Jasminen
    Umflossen die schimmernden Säulen schwell’n,
Es halten Wacht vor ihnen
    Die blaugemähnten, krystallenen Well’n.

Doch raunet schon murmelnde Grüße
    Herauf seinem Herrn der bewegliche Troß,
Es küsst dir die schwebenden Füße –
    So ziehn wir hinüber in’s harrende Schloß.

Nun schreitest du über die Schwelle,
    Umfunkelt von blitzendem Wundergestein,
Es neigt sich wie flimmernde Welle,
    Denn du bist die Herrin und Alles ist dein.

Viel herrliche Göttergestalten,
    Sie schauen hernieder, von Schönheit umwallt;
Es neigen die hohen, die alten
    Sich vor der jungen Göttergestalt.

Doch dir zu Füßen gesunken,
    Schaut klagend ein Mann dir in’s Antlitz hinein
Und flüstert sehnsuchtstrunken:
    O neige dich, Herrin, denn ich auch bin dein! – –

Da fallen die flackernden Schäume
    Zusammen im Schwinden des sterbenden Lichts;
Es rinnen die purpurnen Säume
    Des Wolkenschlosses in dämmerndes Nichts.

Dein Bild nur wiegt auf den Knieen
    Im Traum sich leis mir hin und her,
Und um mich ziehen und fliehen
    Die Träume wie ein wogend Meer.

XVIII

    Ach, wer kann die Schuld vergeben,
Die mein Leben nimmer läßt,
Daß mein allzuheißes Sehnen
Jene Thränen
Deinem süßen Blick entpreßt.

    Früh im Kelche der Genzianen
Zitternd mahnen vorwurfsvoll
Alle Perlen an das Thauen,
Das im blauen
Kelche deiner Wimpern quoll.

    Wenn in schwüler Mittagsstunde
Sich die Runde trüb verhängt,
Aus den Wolken dichtem Wallen
Seh’ ich’s fallen,
Was ich dir in’s Aug’ gedrängt.

    Und wenn still der Tag geschieden
Und im Frieden ruht die Welt,
Glühn die Sterne noch gleich jenen
Stummen Thränen
Über mir am Nachtgezelt.

XIX

Ach, daß im Vorübergehn
    Nur das Glück sich findet,
Und daß Neigung wie ein Wehn
    Weicher Lüfte schwindet!
Ach, ein Himmelsstrahl durchhellt
    Grüßend noch die Lider
Doch in ihrem Schatten fällt
    Schon die Asche nieder.

Kalt erlosch im Herzensgrund,
    Ach, der schöne Funken,
Und den Becher hat der Mund
    Hastig leergetrunken!
Was verhehlt dein Blick noch klug
    Mir die bange Neige,
Was noch spricht er süßen Trug? –
    Schweige! – Schweige! – Schweige!

XX

Und haben heut’ wir uns geliebt,
    Da laß uns morgen scheiden;
Wenn kurzes Leid die Liebe giebt,
    So spart sie langes Leiden.

Schnell welken schöne Blüthen fort,
    Laß ab, sie zu behüten,
Laß sie nicht farblos und verdorrt
    Uns mahnen, wie sie blühten!

Laß ab, sie in des Herzens Buch
    Vertrocknet einzupressen –
Ihr Leben war nur bunter Trug,
    Verblichen und vergessen!

XXI

Ein krankes Glied, das gesunden will,
    Muß Rast und Ruhe haben,
Und hält ein krankes Herz nicht still,
    da muß man es begraben.

Zu ruhlos schlägt’s bei Nacht und Tag,
    Als dass ihm besser werde,
den neuen Schmerz bei jedem Schlag,
    den heilt allein die Erde.

Die deckt es kühl und freundlich zu,
    Umwölbt von grünen Zweigen;
Da mag es liegen in ewiger Ruh’
    Und heilen, schlafen, schweigen.

XXII

Den Wind, der welke Blätter weht,
    Beruft des Sommers Wende,
Und wenn die Sonne niedergeht,
    Geht auch der Tag zu Ende.

Der Winter kommt, es kommt die Nacht,
    die Schatten und die Schauer;
Du hast gelebt, geliebt, gelacht,
    Es ging und läßt die Trauer.

Ein braunes Blatt noch flattert um,
    Und winkt aus Sommerstunden;
Ein braunes Roth noch lischt, wo stumm
    Der Sonnentag verschwunden.

 

Wilhem Jensen (1837-1911), aus: Stimmen des Lebens, 1881