Ethikverein

Wer schweigt, macht sich mitschuldig!
Ein Disput mit Freudianern

Über blinde Flecken in der psychoanalytisch-/psychotherapeutischen Ethik-Diskussion – am Beispiel des „Ethikvereins e.V.“

Prof. Otto F. Kernberg gilt als einer der berühmtesten Psychiater und Psychoanalytiker der Welt. Bei einer der größten Psychotherapiefortbildungen im deutschsprachigen Raum, den „Lindauer Psychotherapiewochen“ referiert er den Fall einer Frau mit (angeblich) antisozialer Persönlichkeit, die „unter Inzest litt, dessen [sic] Vater sie sexuell missbrauchte, mit schweren Depressionen und Selbstmordversuchen, die ihren Therapeuten sexuell verführte. Sie rief ihn zu sich nach Hause unter Bedrohung schwerer Selbstmord [sic], empfing ihn im Negligé, und nur er konnte sie retten – ein junger Psychiater in Ausbildung mit schweren narzisstischen Problemen, und eh“ – explosives Gelächter im Publikum, erheiterte Nachfrage von Kernberg: „Ist das hier ungewöhnlich?“, erneut schallendes Gelächter – „Und ehm – äh – hahh – und äh, äh – der – nach – sie schrieb – sie hatte ein Tagebuch, und sie hatte auch eine homosexuelle Freundin, sie beging Selbstmord, sandte das Tagebuch mit einer genauen Beschreibung des sexuellen Verkehrs mit ihrem männlichen Therapeuten dieser homosexuellen Freundin, die dann ein Gerichtsverfahren gegen den Therapeuten und gegen unser Spital einleitete. Also, Sie sehen, wie sie im Tode sich noch r… [ächte?; K.S.], wie sie Opfer und Täter zugleich wurde.“

(Nachzuhören ist dieses Zitat im O-Ton in dem verlinkten youtube-Beitrag ab Min. 18:28.)

Zwei Jahre später wird der Vortrag – leicht überarbeitet – in der von Kernberg mit herausgegebenen Fachzeitschrift „Persönlichkeitsstörungen: Theorie und Therapie (PTT)“ publiziert; die zitierte Fallgeschichte wird durch eine Zwischen-Überschrift scheinbar auf das Kernproblem fokussiert: „Transformation des Opfers in einen Täter“. (Kernberg wurde kurz nach diesem Vortrag für vier Jahre zum Präsidenten des psychoanalytischen Weltverbandes IPA gewählt.)

Weitere sechs Jahr später nehmen Gerhard Dammann und Benigna Gerisch das zitierte Beispiel zum Anlass, die Betroffene weiter zu diffamieren.

Auf z.B. diesen eklatanten Fall von Machtmissbrauch und Grenzverletzung in der Psychotherapie, belegt mit einer Fülle von konkreten Zitaten und Quellenangaben, spreche ich seit nun ziemlich genau sechzehn Jahren immer wieder Kolleginnen und Kollegen an. Und das Ergebnis ist meist das gleiche: Ich selbst werde zum Buhmann  erklärt, man will mit mir und der ganzen Angelegenheit nichts zu tun haben. So auch jetzt wieder einmal.

Im April 2016 sende ich eine Mail an Dr. Jürgen Thorwart, der für den 3. Mai in München mit einem Vortrag zum Thema „Macht und Machtmissbrauch in der Psychotherapie“ angekündigt ist. Veranstalter ist die Psychiatrie-Beschwerdestelle „Kompass“, angesiedelt unter dem Dach des „Netzwerks Psychiatrie München e.V.“. Das „Netzwerk“ hat einen Aufsichtsrat, der – so die Selbstdarstellung – über die grundlegende Ausrichtung der Vereinsarbeit entscheidet. Herr Thorwart sitzt in diesem Aufsichtsrat, ebenso im Vorstand des Vereins „Ethik e.V. – Ethik in der Psychotherapie“.

Thorwart, den ich anspreche, um ihn um Austausch und Zusammenarbeit zum Thema zu bitten, reagiert jedoch auf den von mir konkret belegten, oben zitierten Missbrauchsfall mit einer brüsken Zurückweisung, u.a. mit dem Vorhalt, ich würde ja nur „mit dem Prügel wild und völlig undifferenziert auf die Psychoanalyse einschlagen“.

Daraufhin unterrichte ich die Mitglieder des „Ethikvereins“ von Thorwarts Reaktion und bitte um Unterstützung. Antwort der Vorsitzenden Dr. Andrea Schleu: Man habe einstimmig beschlossen, nicht mit mir kooperieren zu wollen.

In einem Beitrag für den Rundbrief 1/16 der „Walter-von-Baeyer-Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V.“ beschreibe ich die Vorgänge und zitiere aus Thorwarts Mail.

Das Kartell des Schweigens hat wieder einmal funktioniert. Ausgerechnet ein Gremium wie der „Ethikverein“, der sich angeblich der Aufklärung verschrieben hat und einem Machtmissbrauch entgegentreten will, blockt eine längst überfällige Diskussion über systematische Verschlechterungseffekte durch bestimmte Therapiemethoden ab. Hat der „Ethikverein“ etwa genau diese Funktion: die Diskussion über Missstände zunächst an sich zu ziehen und – bei Bedarf – radikal auszubremsen? Warum verstummt man dort so schnell, wenn man mit skandalösem „psychoanalytischem“ Material konfrontiert wird, das in Fachzeitschriften veröffentlicht ist bzw. offiziell als Lehrmaterial für Psychotherapeutenausbildung gehandelt wird?

Wenn auch womöglich einzelne wohlmeinende Mitglieder in diesem Club sitzen mögen, so setzen sich doch offenbar schnell unverbesserliche DogmatikerInnen durch, die sich Freuds und Kernbergs Lehren fest verbunden fühlen, denen als Fundament die Unterstellung kindlicher Beteiligung („eigener Anteil“) an sexualisierten Übergriffen bzw. ganz generell Opferbeschuldigungen oder Opfer-Täter-Umkehrungen dienen, worauf dann das ganze weitere Theoriegebäude fest aufsitzt.

Am 23.07.2016 beantragt Herr Thorwart bei der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes die Einleitung eines „berufsrechtlichen Verfahrens“ gegen mich, weil sich ihm „die Frage stellt“ ob ich „zur Ausübung des Approbationsberufes eines Psychologischen Psychotherapeuten ausreichend geeignet“ sei. Das Beschwerdeverfahren wird dort am 25.08.2016 eingestellt. Diese Einstellung des Beschwerdeverfahrens nehme ich nun für mich in gewisser Weise als Ermutigung, mein Engagement fortzusetzen gegen solche Böcke, die sich selbst zu Gärtnern erklären. So auch mit dieser unten verlinkten Publikation, in der ich das Geschehen noch einmal ausgiebig zusammenfasse und dokumentiere, ausführlich Querverweise und links zu den Quellen einfüge sowie am Ende auf die immer wieder gepriesenen Segnungen der „modernen“ Psychoanalyse eingehe.

Dieses Schreiben soll gleichzeitig Aufruf und Ermunterung sein für all diejenigen, die sich ernsthaft mit dem Thema Macht, Machtmissbrauch und Grenzverletzung in Psychotherapie und Beratung auseinandersetzen wollen. Gerne würde ich die Entwicklung einer entsprechenden Arbeitsgruppe anstoßen und koordinieren. Nutzen Sie die unten angegebene Kontaktadresse.