Antwort an Kunstreich & Naber

Meine Antwort an
Joel Naber & Tjark Kunstreich –
und ihren Versuch, meine 2009 in der
„Jungen Welt“ abgedruckte Kernberg-Kritik
als „antisemitisch“ zu diskreditieren

Dass einer meiner vielen Texte zu den irrsinnigen Thesen eines Otto F. Kernberg 2009 in einer Zeitung, der „Jungen Welt“, veröffentlicht wurde, hatte mich sehr gefreut! (Hier dieser Beitrag – „Die Heilslehre von der oralen Wut“ – als PDF-Datei.)

Meine Ausführungen hatten aber auch rasch zwei Kritiker auf den Plan gerufen, Joel Naber & Tjark Kunstreich, die hier – wohl b’sonders g’scheit – sofort mutmaßten, es handle sich um einen Fall von „Antisemitismus“. Ihr Beitrag war für einige Zeit unter http://totenatur.wordpress.com/2009/11/01/der-hass-auf-das-unbewusste/ zu finden, dort jedoch schon nach wenigen Wochen wieder herausgenommen. Zu Anschauungszwecken habe ich den Text, den ich mir damals kopiert hatte, auf meine eigene Webseite gestellt: Naber & Kunstreich – das Original.

Es ist wohl nicht der Mühe wert, mit diesen beiden „Experten“ eine Diskussion zu versuchen. Kommentare und Reaktionen auf ihr Web-Tagebuch, in dem sie in verschraubten Phrasen meinen Artikel aus der „Jungen Welt“ vom 30.10.09 kommentieren, waren nicht vorgesehen, also wohl auch nicht erwünscht. Bisher (20.04.2017) hat sich keiner der beiden Spaßvögel – sie ließen sich wohl besser in Kunstlos und Laber umbenennen – je direkt an mich gewendet.

Dass die „Junge Welt“ meinen Beitrag abgedruckt hat, das entlarvt – so glauben die Autoren – ihre antisemitische Tendenz. In der „Jungen Welt“ habe ihr „Antizionismus“ bisher als „gängige Rationalisierung des Antisemitismus fungiert“. Jetzt aber breche auch das „kleinbürgerlich-wahnhafte[.] Ressentiment[.] gegen die Psychoanalyse in eine nicht minder wahnhafte linke Vorstellungswelt“ ein, „die sich bislang mangels Qualifikation und Interesse an dieses ‚Thema’ nicht herangewagt hat.“ So ist das also. Bisher waren die AutorInnen der „Jungen Welt“ zu desinteressiert und zu blöd, um sich mit der erlauchten Psychoanalyse auseinanderzusetzen. Und nun versucht die „Junge Welt“ hier – mit antisemitischen Tendenzen – verlorenes Terrain wieder zu erobern. Wie bös!

Der Antisemitismus – so werden wir aufgeklärt – kenne zwei Zerrbilder des Juden: Einerseits seien „die Juden als Feinde von Wärme und Empfindsamkeit“ diffamiert. Andererseits gebe es das Gegenteil, das „Ressentiment“ gegen die „’jüdische[.]’ Behauptung vom Unbewussten, vom Irrationalen“. Da regt sich bei mir das Bedürfnis, die armen Autoren sofort zu trösten: Das „Irrationale“ und das „Unbewusste“ sind mir nicht fremd oder unsympathisch. Und ob es sich bei den Vertretern eines psychotherapeutischen Unsinns um Juden, Christen, Moslems, Hindus, Schamanen, Buddhisten oder sonstige Anhänger irgendwelcher Heilslehren handelt, ist mir herzlich egal. Es geht mir in meinem Artikel nur um die – mit konkreten Zitaten belegte – besonders menschenverachtende Lehre von Otto Friedemann Kernberg.

(Übrigens: Als ich in der psychoneuro vom September 2007 einen Artikel über Otto Kernbergs unsägliche „Weisheiten“ publizieren konnte, hatte ein von der Redaktion dazu eingeladener Professor Ernst R. Petzold meinen Artikel kommentiert. Zu Beginn seiner Kritik verweist er breit auf die Geschichte von Adam und Eva. Mit keiner einzigen Silbe ging er jedoch auf die kritisierten Fallschilderungen ein. Offenbar sind also sowohl christliche, als auch jüdische Mystik geeignet, die Gehässigkeit und Menschenverachtung eines Kernbergschen Therapiekonzepts mit nichtssagendem Wortnebel zu verschleiern.)

An Kernberg kritisiere ich ja immerhin gerade das Folgende: Dass er allen Ernstes bei einem – vermutlich jüdischen – Mann analysiert, er habe seine „chronische Aggression“ bereits als Säugling an der Mutterbrust entwickelt, und nicht etwa in einem KZ, in dem er als 12-Jähriger die Ermordung seiner ganzen Familie vor seinen Augen miterleben musste. Aber diese Kritik, so bescheinigen mir die neunmalklugen Autoren, scheint nichts anderes zu sein als eine besonders raffinierte Form des modernen Antisemitismus, der „nicht ohne den identifikatorischen Bezug auf KZ-Opfer auskommt“. Fest steht für die zwei besonders g’scheiten Laberer: Weil ich – wie fälschlich unterstellt – die „’jüdische’ Behauptung vom Unbewussten, vom Irrationalen“ antaste, zeigte ich „das andere Gesicht des zeitgenössischen Antisemitismus“. Bei so intimer Kenntnis komplexester Zusammenhänge erübrigt sich für die beiden natürlich jeglicher Abstieg in die Niederungen konkreter inhaltlicher Auseinandersetzung, frei nach dem Motto: Don’t confuse me with the facts! (Verwirre mich nicht mit den Fakten!)

Dass eine (ob jüdische oder nichtjüdische) sexuell missbrauchte Grundschülerin von Kernberg einen „sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“ attestiert bekommt – das ist für die Autoren offenbar nicht zu beanstanden. Ebensowenig, dass sie „ihre Schuld tolerieren“ soll. Dass Kernberg einer in seiner Klinik durch sexuellen Missbrauch ihres Therapeuten in den Suizid getriebenen Patientin nachhöhnt, dass „sie im Tode sich noch r…[ächte]“ (denn es war danach zu einer Anklage des Therapeuten und der Klinik gekommen) – das bietet den Autoren ebenso keinerlei Anlass zu Kritik. Gravierend ist für sie, dass eine Beanstandung solch einer Position (angeblich) dabei per se eine antisemitische Tendenz offenbart.

Wirklich? Ist es – wie auf meiner Webseite nachzulesen – „antisemitisch“, die Bedeutung und Verdienste des jüdischen Arztes Joseph Breuer zu betonen? Ist es „antisemitisch“, der Jüdin Bertha Pappenheim zu attestieren, dass sie in bewundernswerter Weise soziales Engagement gezeigt hatte? Ist es „antisemitisch“, die Diffamierung der jungen Jüdin Ida Bauer durch Sigmund Freud zu widersprechen? Ist es „antisemitisch“, ihren zunächst jüdischen, später konfessionslosen Bruder Otto Bauer, der als langjähriger Führer der Austro-Marxisten den Nationalsozialisten in Österreich den wirksamsten Widerstand entgegengesetzt hatte, gegen widerwärtige psychoanalytische Schmähungen in Schutz zu nehmen? Ist es „antisemitisch“, die Vergiftung des Juden Ernst Fleischl von Marxow mit Kokain (durch den Juden Sigmund Freud) zu kritisieren und zu bedauern? Ist es „antisemitisch“, die „Behandlung“ der Magenbeschwerden der Jüdin Emma Eckstein durch Herausschneiden von Teilen ihrer Nase durch den Juden Wilhelm Fließ zu kritisieren, der durch eine verpfuschte und sinnlose, von seinem Wahn geleitete Operation beinahe den Tod der jungen Frau hervorgerufen hatte? Ist es „antisemitisch“, Freuds Schmähungen gegen den deutschen Autor Wilhelm Jensen zurückzuweisen, der als einer der wenigen Autoren – z.B. in einer erst kürzlich wieder neu herausgegebenen Novelle „Die Juden von Köln“ (Erstausgabe 1869), aber auch in anderen Texten (wie Helmut Richter gezeigt hat) – antisemitischen Tendenzen deutlich entgegentritt? Ist es „antisemitisch“, diesem Wilhelm Jensen, der z.B. mit seiner Kölner Novelle Theodor Herzl inspiriert hatte, – gegen Freuds Diffamierung – eine Wertschätzung entgegenzubringen?

Genauso ungeprüft, wie der „Antisemitismus“-Vorwurf in dieser Debatte gezückt wird, genauso ungeprüft werden von den zwei Autoren munter weitere Diffamierungen bemüht: Bei der Kritik handele es sich um die „kosmisch verstrahlten Botschaften aus einem Orbit jenseits jeder Diskursivität“. (Und ich frage mich, welche der sich hier streitenden Parteien sich „jenseits jeder Diskursivität“ befindet: wohl diejenige, die sich peinlichst bemüht, jegliche Email-Erreichbarkeit zu vermeiden.) Die von mir verbreiteten Thesen unterlägen der Logik eines „Vatermordprogramms“. Aber – wie seltsam – der „ödipale Hass“ gelte hier einmal nicht dem Vater, sondern der Mutter. (Ausnahmsweise? Wie genau, wo er doch angeblich „ödipal“ ist?) Und als Kritiker Freuds und Kernbergs wird mir ein „Hass auf die Existenz des Unbewussten überhaupt“ attestiert. Bei mir liege die „Projektion eigener Aggression“ vor, die wiederum „immer die Quelle und das Motiv des Opferwahns“ sei. Attestiert wird mir, ich sei  ein „kleinbürgerlich-paranoider Frauenfeind“. Darüber hinaus sei mir „völlig gleichgültig“, „wie KZ-Überlebenden und Opfern sexuellen Missbrauchs individuell geholfen werden kann“. So die glitzernd-schillernde, inhaltsleere, verlogene Hass- und Diffamierungsrhetorik, wie sie den Schreibstuben von Propagandaministerien jeglicher Couleur entstammen könnte.

Ein weiteres Unverständnis von Kunstreich & Naber: „Schlagmann beruft sich auf Breuer[s] und Freuds erste Trauma-Theorie, …“. Logisch, dass die beiden Autoren kenntnislos behaupten, man können in einem Atemzug von Breuers und Freuds erste Trauma-Theorie sprechen, als sei beides das gleiche. Damit sträuben sie sich dagegen zu begreifen, dass – wie ich immer wieder betone – zwischen Breuers differenzierter „Trauma-Theorie“, seinem Verstehen von Belastung durch Gewalt, Verhinderung von Selbstentfaltung oder Schicksalsschlag, und Freuds „Trauma-Theorie“, seiner frühen, grob vereinfachenden Väter-Vergewaltigungs-Hypothese, ein himmelweiter Unterschied klafft. Und genauso einsichtsresistent – wohl auch durch keinerlei psychotherapeutische Erfahrung getrübt – huldigen sie dann dem (angeblichen) Verdienst des Meisters Freud, „die Vorstellung des sexuellen Verhältnisses zu Vater oder Mutter als Ödipus-Komplex begriffen zu haben, der meistenteils phantastisch und eben nicht real inzestuös abläuft“. Hymnen des Lobes werden angestimmt auf Freuds und Kernbergs „mühsame analytische Durchdringung der seelischen Gewordenheit der Traumatisierten“, welches in einem unermüdlichen Bemühen um die „Auseinandersetzung mit Schuldgefühlen und Mitverantwortung“ der Betroffenen resultiert. Denn die Missbrauchsopfer sollen ja schließlich den „sexuell erregenden Triumph“ über ihre Mütter und Väter oder sonstige Erwachsene erkennen können, als Beitrag zu einer Therapie, in der die Traumatisierten „nicht als Opfer, sondern als Subjekte begriffen werden“.

Wie sehr wird es doch den KZ-, Folter- und Missbrauchs-Opfern helfen, in einer Therapie (nach Kernberg) zu verstehen, dass sie unter ihren Erfahrungen nur deshalb so leiden, weil sie zuvor als Säuglinge ihre Perversionen nicht in den Griff bekommen hatten! So werden sie jetzt ihren eigenen Handlungsanteil an dem Geschehen weit besser begreifen können!

Die „Argumente“ der Autoren der „toten natur“ (wer weiß, wie viel bei ihnen schon abgestorben ist) sind in der Tat ziemlich überlebt. Schon der alte Freud hatte vor über hundert Jahren gegen seine Kritiker in ganz ähnlicher Manier gewettert:

1.) Wer ihn kritisierte, hatte ihn nicht verstanden.

2.) Wer nachweisbar Freuds Schriften gelesen hatte, und ihn dennoch kritisierte, der hatte seinen Ödipuskomplex (= Vater-Tötungsimpuls = Freud-Tötungsimpuls) nicht gebändigt.

3.) Wenn das nicht half, dann wurde auch schon mal der Antisemitismus als Triebfeder der Freud-Kritik bemüht – womit impliziert war, dass sich eine Kritik an Freuds kostbarem Gedankengut selbstredend keineswegs auf inhaltlich gerechtfertigte Begründungen stützen konnte, sondern nur auf dunkle, irrationale Ressentiments. Der alte Freud konnte freilich mit der Antisemitismus-Keule noch nicht so richtig draufhauen. Da hat’s die heutige Gefolgschaft, mit der Gnade der späten Geburt – gerade in Deutschland – doch sehr viel leichter.

Ja, auf diesem festen Fundament der Selbstgefälligkeit inszenieren Tjark Kunstreich und Joel Naber die inhaltsleere Verteidigung der Heilslehre von Freud und Kernberg. Bis in das verwirrende Gefasel ihres letzten Satzes hinein illustrieren sie eindrucksvoll die phrasenhafte Geistlosigkeit eines solchen Unterfangens. Mit der Autorität eines selbst ausgestellten Alleinvertretungsanspruchs für die Angelegenheiten des „Unbewussten“ und der „frühkindlichen Vorgeschichte“ werden „psychoanalytisch-therapeutische“ Unterstellungen in die Phantasiewelt des Säuglings hinein geheimnist. Reale Gewaltverhältnisse werden außer Acht gelassen. Opfer bleiben sich selbst überlassen. Kleinkinder werden ihrer Entartung beschuldigt. Um diese konkrete Menschenverachtung aufzubringen, braucht man einen festen, unerschütterlichen Glauben an die Freudsche Psychoanalyse. Allzu leicht entspringt daraus auch eine gnadenlose Verachtung für die Ungläubigen.

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